Das Kunstmuseum Basel entschädigt die Erbinnen des jüdischen Unternehmers Richard Semmel (1875–1950) für ein 1933 in der Emigration verkauftes Gemälde. Die Entscheidung, so eine «gerechte und faire Lösung» herbeizuführen, ist ein Bekenntnis zu den Washingtoner Prinzipien und der eigenen Strategie Provenienzforschung. Das Kunstmuseum ist glücklich, das Werk für die Sammlung erhalten zu können. Die Erbinnen sind zufrieden mit der gefundenen Lösung.
La Maison Rondest, l'Hermitage, Pontoise gelangte anlässlich der Ausstellung Camille Pissarro. Das Atelier der Moderne (4.9.2021–23.1.2022) als Geschenk ans Kunstmuseum Basel. Es stammte aus der Riehener Sammlung von Dr. Klaus von Berlepsch und sollte als Leihgabe in der Präsentation gezeigt werden. Von Berlepsch entschied sich dann bereits vor Ausstellungsbeginn, es dem Kunstmuseum zu schenken. Das Gemälde ist auf der Website www.lostart.de als Suchmeldung verzeichnet – allerdings unter einem abweichenden Titel und ohne Abbildung, weswegen seine Historie bei Annahme der Schenkung nicht auffällig erschien. Der inzwischen verstorbene Vorbesitzer von Berlepsch wusste ebenfalls nicht um die Herkunft seines Bildes. Als nach Sammlungseingang die Provenienz geprüft wurde, war die Voreigentümerschaft des jüdischen Unternehmers Richard Semmel schnell offenbart. Seit der Verabschiedung der Strategie Provenienzforschung 2022 erfolgen diese Recherchen im Kunstmuseum standardmässig vor der Annahme von Objekten.
Richard Semmel hatte seine Kunstsammlung ab 1933 auf der Flucht aus Deutschland versteigern lassen, weshalb der Verdacht eines Zusammenhangs zwischen Verfolgung und Verkauf nahelag.
Wer war Richard Semmel?
Der deutsch-jüdische Textilunternehmer Richard Semmel stammte aus Sobotka in Niederschlesien, im heutigen Polen. Er war mit Claire Cäcilie, geborene Bruck, kinderlos verheiratet. Er besass die Berliner Wäschefabrik Arthur Samulon, der er ab 1919 als alleiniger Gesellschafter vorstand. Unter seiner Führung gelangte das Unternehmen zu beträchtlicher Grösse und Umsatzstärke. Hinzu kam die Samulon Grundstücks G.m.b.H. Bereits im Frühjahr 1933 wurde Semmel mit drohenden Repressalien durch das NS-Regime konfrontiert. Im Juni des Jahres emigrierten er und seine Frau in die noch unbesetzten Niederlande. Laut eigener Aussage verliess Semmel Deutschland nicht nur aus Gründen der «rassischen» Verfolgung durch die Nationalsozialisten, sondern auch, weil ihm Nähe zu sozialdemokratischen Politikern vorgeworfen wurde. Im Juni 1939 setzte das Ehepaar die Flucht über Santiago de Chile nach New York fort. Die Lebensbedingungen der Semmels in den USA waren von Armut und schlechter Gesundheit geprägt. Eine Bekannte aus Berliner Zeiten, Grete Gross, geb. Eisenstaedt (1887–1958), kümmerte sich nach dem Tod von Claire Semmel 1945 um den erkrankten Richard Semmel und wurde von ihm aus Dankbarkeit als seine Alleinerbin eingesetzt. Als sie 1958 verstarb, wurde ihre mittlerweile verstorbene Tochter Ilse Kaufmann zur Erbberechtigten. Deren Töchter sind die Empfängerinnen der vereinbarten Entschädigungssumme.
Verkäufe auf der Flucht
Kunstverkäufe von jüdischen Emigrant:innen zwischen 1933 und 1945 ausserhalb des Machtbereichs der Nationalsozialisten werden unter der historischen Kategorie «Fluchtgut» zusammengefasst. Kunstkommission und Kunstmuseum Basel haben sich im Zusammenhang mit einem Anspruch auf ein Werk von Henri Rousseau ausführlich mit dieser Kategorie auseinandergesetzt. Sie sind der Auffassung, dass Fälle von Verkäufen auf der Flucht anders als Fälle von NS-Raubkunst zu beurteilen sind, und dass sehr spezifische Gründe vorliegen müssen, um für sie eine Restitution zu rechtfertigen. Aus Sicht der Erbinnen Semmels stellen die Verkäufe unabhängig vom Ort eine unmittelbare Folge der Verfolgung von Richard Semmel und damit einen NS-verfolgungsbedingten Vermögensverlust dar.
Die Washingtoner Prinzipien verlangen die Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Richard Semmel konnte sich in Deutschland nicht mehr oder nur unter grosser Gefahr für Leib und Leben aufhalten. Er versuchte, mit dem Verkaufserlös seiner Bilder die Wäschefabrik in Berlin zu halten. Die durch Kunstverkäufe erzielten Erlöse flossen somit in das Deutsche Reich. Semmel hat also auf der Flucht und von ausserhalb des unmittelbaren Machtbereichs der Nationalsozialisten für seine Firmen in Deutschland wirtschaftlich gekämpft, wenn auch erfolglos und wohl auch chancenlos. Aus diesem Grund sind Kunstmuseum und Kommission der Auffassung, dass ein Anspruch der Erbinnen auf das Werk gerechtfertigt ist. Auch ausländische Museen und Kommissionen sind zum Schluss gekommen, dass es sich bei Semmels Kunstverkäufen ab 1933 um NS-verfolgungsbedingte Verluste handelt, und haben einen Kausalzusammenhang zwischen seiner Verfolgung und den Kunstverkäufen attestiert. Mehrere internationale Museen haben Werke aus den erwähnten zwei Auktionen an die Erbinnen nach Richard Semmel restituiert, oder für sie «gerechte und faire Lösungen» gefunden. Im Privatbereich gab es zahlreiche aussergerichtliche Vergleiche.
Der Entscheid von Kunstkommission und Kunstmuseum wird hier veröffentlicht. Das Kunstmuseum erachtet dies als Teil der Würdigung des Schicksals von Richard Semmel und als notwendige Aufarbeitung der Geschichte des Gemäldes.
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