30 Apr. 2020
Was bis vor kurzem noch unvorstellbar schien, wurde am 14. März Tatsache. Das Kunstmuseum Basel schloss wegen der Corona-Pandemie seine Tore. Noch ist unsicher, welche Art von Betrieb nach der Öffnung möglich sein wird. Für mich ist klar: Unsere Sammlung gehört der Öffentlichkeit, und unser Haus muss ein open space für möglichst viele unterschiedliche Personen sein. Dennoch sollte das Kunstmuseum auch dann nachhaltige Arbeit leisten, wenn es nicht im direkten Austausch mit dem Publikum steht.
Nachhaltigkeit hat mit Zielvorstellungen wie dem Erreichen von Stabilität, einer möglichst optimalen Nutzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen, und damit verbunden einer natürlichen Regenerationsfähigkeit zu tun. Unsere wichtigste Ressource, das Kapital, das uns anvertraut ist – aber uns nicht gehört – sind unsere Sammlungen. Es ist unser Kernauftrag, zu den uns anvertrauten Gegenständen Sorge zu tragen. Kunstwerke bilden eine Art Gedächtnis oder Archiv der Menschheit. Ohne Kenntnis unserer Vergangenheit ist eine bessere Zukunft für unsere Spezies und den Planeten, den wir bewohnen und an den Rand des Kollapses gebracht haben, nicht vorstellbar. Das ist jedenfalls meine Überzeugung.
Museumsarbeit ist grundsätzlich auf Langzeitverhalten ausgerichtet, sie gründet immer in Aufgaben der Pflege und des Bewahrens. Museumsaktivitäten erschöpfen sich nicht in einem zeitlich limitierten Event, sie erzeugen Resultate (Zuwachs an Wissen, Beziehungen etc.), die über die Dauer des Events fortbestehen und auf Kontinuität und Langfristigkeit ausgerichtet sind. Diese Arbeit ist nicht Selbstzweck, sondern ein Angebot an die ganze Gesellschaft. Viele Abteilungen in einem Museum sind mit unterschiedlichen Aspekten von Nachhaltigkeit befasst. Das Beispiel der Konservierung/Restaurierung ist besonders einleuchtend: Das Erhalten und Bewahren von je nach Alter und Herkunft sehr fragilen Kunstwerken ist alltägliche museale Praxis und per se eine «regenerative» (oder eben nachhaltige) Tätigkeit.
Nachhaltige Museumsarbeit sollte aus meiner Sicht verschiedene Aspekte aufweisen bzw. unterschiedliche Bedingungen erfüllen: Sie betrifft in erster Linie unsere inhaltliche und intellektuelle Arbeit und deren Zielsetzungen. Dazu gehört ein kreativer, dynamischer Umgang mit unseren Sammlungen. Kunstwerke existieren nicht für sich, sie sind für die Menschen geschaffen worden. Unsere Aufgabe in den Museen ist es, sie immer wieder zu «revitalisieren» . Ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit liegt darin, neue «Ökologien» des Ausstellens und der Vermittlung zu schaffen. Viele Ausstellungsprojekte werden aus der eigenen Sammlung heraus konzipiert und zum Anlass genommen, teilweise vertraute, aber auch vergessene Objekte neu zu befragen, indem sie beispielsweise in einem ungewohnten Kontext präsentiert werden. Nachhaltigkeit entsteht vor allem durch die Entdeckung von Unbekanntem und die Vermittlung des so anwachsenden Wissens sowie dessen analoge und digitale Publikation. Gerade digitale Angebote für unsere Besucher:innen sind während der momentanen Schliessung von zentraler Bedeutung. Wie andere Institutionen lernen auch wir im Kunstmuseum hier gerade täglich dazu.
Nachhaltigkeit enthält aber auch immer eine soziale Komponente. Museen sind nicht nur Orte der Wahrnehmung und der Kontemplation, sondern auch öffentliche Orte für Begegnung und gesellschaftliche Debatten. Museen existieren grundsätzlich an der Schnittstelle zwischen Vergangenheit (das, was bewahrt werden soll) und Zukunft (für wen diese Objekte bewahrt werden sollen). Nachhaltigkeit ist eine Kategorie, die insbesondere auch die Dimension der Zukunft mit einschliesst: Was heute als wertvoll beurteilt wird, soll auch zukünftigen Generationen zur Verfügung stehen. Kunst- und Kulturgegenstände im weitesten Sinne, die wir in unseren Museen aufbewahren, sind für mich ein öffentliches Gut, das allen Menschen zur Verfügung stehen sollte – genauso wie die natürlichen Ressourcen unseres Planeten, Wasser, unsere Böden, die Luft oder das Sonnenlicht. Vor allem aber sind Museen nicht nur bewahrende Institutionen mit diesem oder jenem spezifischen Leistungsauftrag, sondern auch Orte «humanen Denkens und Handelns», wie mein Kollege Bernhard Maaz in München gesagt hat. Insofern erfüllen sie auch das Postulat, dass echte Nachhaltigkeit immer einen Mehrwert für die Zukunft beinhalten muss, selbst wenn dieser Mehrwert nicht mathematisch quantifizierbar und vielleicht eher immaterieller Natur ist.
Und schliesslich: Unser Denken und Handeln kann nur gemeinsam mit dem Publikum stattfinden. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir unsere Türen bald wieder für Sie, liebe Leserinnen und Leser, öffnen können.
Josef Helfenstein, Direktor