Der Manor Kunstpreis Basel 2023 geht an die Künstlerin Gina Folly (*1983 in Zürich, lebt und arbeitet in Basel und Paris). Folly beschäftigt sich in ihrem Werk mit Fotografie, wobei sie das Medium durch ihre Wahl neuer Formate, Materialien und Präsentationsformen erweitert. Der fotografische Blick dient ihr als Ausgangspunkt, mittels dessen sie Umfelder und Erlebnisse analysiert und reflektiert.
Follys vielschichtige Bilder, Skulpturen und Installationen thematisieren Emotionen und Beziehungen von Menschen in ihrem Alltag. Dabei handeln ihre Arbeiten von Situationen, Orten und Objekten, anhand derer die Künstlerin unsere alltäglichen Vorstellungen von Durchlässigkeit und Abgrenzung, Natürlichkeit und Künstlichkeit oder von privatem und öffentlichem Raum befragt. Meist rücken das Unbedachte und Unscheinbare in den Fokus der Aufmerksamkeit. Mit ihrer Arbeit reagiert die Künstlerin sensibel und kritisch auf die Mechanismen der Trivialisierung und Marginalisierung von Werten, Codes, Bildsystemen oder kulturpolitischen Strukturen, welche unser Leben beeinflussen und kontrollieren.
Für ihre Ausstellung Autofokus im Kunstmuseum Basel | Gegenwart erarbeitet Gina Folly zwei neue fotografische Werkserien zu den Themen ‘Gebrauchtwerden’ und ‘in Gebrauch sein’. Die Arbeiten verhandeln soziale und ökonomische Beziehungssysteme sowie Möglichkeiten eines intergenerativen Transfers von Taten und Wissen. Es geht um das Aushandeln von Konditionen menschlicher Existenzen und das Aufbrechen von etablierten Hierarchien.
Folly arbeitet für Autofokus mit den Mitgliedern des Vereins Quasi Tutto zusammen, einem nach eigener Aussage «kleinen Dienstleistungsbetrieb von vorwiegend pensionierten Frauen und Männern», die auf ihrer Plattform Dienstleitungen aller Art anbieten – von Gartenpflege, Entsorgungen, Installationen von TV und Internet bis zu Reparaturen alter Geräte. Für Folly ist der Verein ein wegweisendes Beispiel dafür, sich nicht an die ungeschriebenen Regeln des Ruhestands – des angeblich unausweichlichen ökonomischen und sozialen Abstellgleises – zu halten, sondern sich in Eigeninitiative und im Kollektiv Möglichkeiten für erfüllende Tätigkeiten zu schaffen. Die Künstlerin begleitet die Mitglieder dabei und fotografiert sie mit einer analogen Mittelformatkamera. Sie gibt damit einer Randgruppe unseres gesellschaftlichen Systems eine Bühne und beleuchtet die Frage nach dem Verhältnis von individuellem Nutzen und gesellschaftlicher Nützlichkeit.
Die Porträts der Vereinsmitglieder werden flankiert durch eine Serie von Skulpturen. Dabei handelt es sich um 1:1-Reproduktionen gefundener Objekte im öffentlichen Raum: Sitzbänke mit dem Logo von Fujicolor. Die Parkbank verweist auf die eine Tätigkeit, die Menschen im Ruhestand in der Gesellschaft noch zugestanden wird. Die Fujicolor-Bänke sind für Folly aber ebenso ein Platzhalter für den Status der analogen Fotografie, die von der jüngeren digitalen Fotografie abgelöst worden ist und jetzt sozusagen nur noch als eine Art Hobby-Rentnerin existiert. Die Skulpturen dienen den Besucher:innen zudem als Sitzmöbel.
Zur Ausstellung erscheint eine begleitende Edition in Form eines kleinen Leporellos, das kostenlos im Museum ausliegt. Gina Folly absolvierte 2014 ihren Master in bildender Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Von 2013 bis 2020 betrieb sie den Kunstraum Taylor Macklin in Zürich.
Manor Kunstpreis
Der Manor Kunstpreis fördert junge Schweizer Künstlerinnen und Künstler im Bereich der visuellen Kunst: Malerei, Skulptur, Fotografie, Videokunst und Installationen. Er gilt als einer der wichtigsten Förderpreise des zeitgenössischen Kunstschaffens in der Schweiz. Er wurde 1982 von Philippe Nordmann ins Leben gerufen, um jungen Schweizer Kunstschaffenden eine Plattform zu bieten. Er wird von einer Fachjury jährlich in sechs Schweizer Städten verliehen, wobei sich Aarau, Basel, Biel, Chur, Genf, Lausanne, Luzern, Lugano, Schaffhausen, Sitten, St. Gallen und Winterthur im Zweijahresrhythmus abwechseln.