Saalblatt Madonnenkinder

Der diesjährige Präsentationsfokus der Reihe Das Museum zum Sprechen bringen zeigt anhand einer weiteren Entdeckung innerhalb des reichhaltigen Archivmaterials des Kunstmuseums Basel eine bislang unerforschte Facette der Geschichte des Hauses. In direktem inhaltlichen Anschluss an die Präsentation zum Kinderhilfe-Basar von 1942 zugunsten kriegsgeschädigter Kinder setzt der Focus die Betrachtung von mikrogeschichtlichen Ereignissen fort, welche u. a. das humanitäre Engagement des Hauses vor Augen führen und damit das Museum wiederum als Ort gesellschaftlicher Teilhabe und Engagements ins Licht rücken.

«Das Madonnenbild soll für die Darmstädter Kinder arbeiten» – Die Geschichte

Angeregt durch Margaret, Prinzessin von Hessen und bei Rhein (1913-1997), ermöglichte der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt in den Jahren 1953 bis 1958 einen vierwöchigen Erholungsaufenthalt von jährlich zwanzig Darmstädter Kindern im Alter zwischen sieben und dreizehn Jahren in Davos. Die dazu jeweils neu zu bewilligenden Kredite bildeten ein «Entgeld» für die Leihgabe der sog. Darmstädter Madonna von Hans Holbein d. J. an das Kunstmuseum Basel. Das für Basel sehr bedeutende Bild aus dem damaligen Besitz des Prinzen und der Prinzessin von Hessen und bei Rhein wurde bereits 1947 dem Schutz des Kunstmuseums Basel anempfohlen und befand sich seit dieser Zeit im Haus. Die sogenannten «Madonnenkinder» machten auf ihrer Reise vom Darmstadt nach Davos regelmässig einen Zwischenstopp im Kunstmuseum Basel, um das Gemälde zu betrachten.

Mit Dokumenten des eigenen Archivbestands sowie ergänzenden Materialien entwickelt die Präsentation eine anschauliche Darstellung der «Geschichte» der Madonnenkinder. Diese Geschichte bildet den Bezugspunkt weiterer Exkurse, etwa zum gefahrvollen Schicksal des Bildes, institutionsgeschichtlichen, sammlungspolitischen oder kunsthistorischen Aspekten. Wie schon bei der Präsentation zum Kinderhilfe-Basar von 1942 macht diesen Kern ein Album sinnfällig - jetzt auch als visuelle Klammer über beide Kabinette. In diesem Erinnerungs-Album, welches dem Kunstmuseum Basel 1954 von den «dankbaren Madonnenkindern» geschenkt wurde, berichten zwanzig Kinder auf insgesamt 33 Blättern mit Texten und Zeichnungen von ihren Ferienerlebnissen in Davos. Der nur wenige Jahre früher entstandene Film von Victor Masero lässt diese Schilderungen nochmals über ein anderes Medium sehr anschaulich nachvollziehen. Der Wochenschaubericht von 1960 über die grosse Holbein-Ausstellung im Kunstmuseum Basel zeigt am Schluss den Höhepunkt der Ausstellung: die Madonna des Basler Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen von Hans Holbein d. J..

Der zeitgeschichtliche Kontext der Kinderhilfe

Die Madonnenkinder-Initiative ist deutlich im Kontext der internationalen Kinderhilfe der Kriegs- und Nachkriegszeit zu sehen. Die Sensibilität für die Kinderhilfe war sowohl in Darmstadt als auch in Basel vorhanden. Prinzessin Margaret, gebürtige Britin und bereits vor dem Zweiten Weltkrieg für das Britische Rote Kreuz in der Jugendarbeit tätig, engagierte sich nach dem Krieg für die Kinderhilfe innerhalb des Deutschen Roten Kreuzes in Hessen. Die Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes diente bereits während des Ersten Weltkrieges, dann aber auch während des Zweiten Weltkrieges und in den Jahren danach der physischen und psychischen Betreuung von Kindern, die durch die Auswirkungen des Krieges erkrankt, unterernährt oder verletzt worden waren oder traumatische Kriegserlebnisse, zum Beispiel die Folgen einer Flucht, die Trennung von ihrer Familie oder den Verlust von Familienangehörigen erlitten hatten. Mit Hilfe sog. «Kinderzüge» etwa wurden während des Krieges und danach aus ganz Europa Kinder für einen drei- bis sechsmonatigen Erholungsaufenthalt in die Schweiz gebracht. Der Grenzbahnhof in Basel als Empfangsstation der Flüchtlingsinder etwa aus den Niederlanden, Frankreich oder auch Deutschland spielte dabei eine wichtige Rolle. Insbesondere Mathilde Paravicini (1875-1954) wurde in Basel zu einer treibenden Kraft der Organisation der Kinderhilfe. Hier wurden die ankommenden Kinder nicht nur erstversorgt, sondern von Basel aus wurde deren Verteilung auf Familien in der ganzen Schweiz organisiert. Aber auch sog. «Schweizerdörfer» in Grossstädten kriegsbeteiligter Länder dienten der Hilfe vor Ort. Patenschaften gaben zudem die Möglichkeit, individualisierte Hilfe zu leisten. Finanziert wurde die Kinderhilfe vorwiegend durch Geld- und Sachspenden aus der Schweizer Bevölkerung, durch Basare und Abzeichenverkäufe sowie durch Einnahmen aus dem Verkauf von Sondermarken.

Dem Engagement Basels galt schliesslich dann auch der symbolische Dank Frankreichs in Form eines Denkmals von 1948, welches heute noch im Schützenmattpark in Basel zu sehen ist. Ein wichtiger Aspekt des Engagements scheint dabei zu sein, dass die humanitäre Kultur in der Schweiz insgesamt nicht nur eine identitätsstiftende Wirkung für das Land hatte, indem etwa die Neutralität des Landes durch die Dimension der Tugendhaftigkeit gestärkt wurde. Vielmehr scheint damit auch eine integrative Wirkung verbunden, welche zu einer breiten, die gesellschaftlichen Schichten überspannenden Teilhabe motivierte. So orientierte sich denn auch der im Jahr 1942 im Kunstmuseum Basel veranstaltete Kinderhilfe-Basar zugunsten kriegsgeschädigter Kinder ganz klar auf den Rahmen einer stadtumspannenden Aktion des Schweizerischen Roten Kreuzes. Gleichwohl die Organisation dieses Basars in den Händen engagierter Frauen («Damenkommitee») der stadtbaslerischen Oberschicht lag und damit Rollen und Traditionen eines philanthropen Basler Bürgertums fortsetzte, vermochte sie doch breitere Schichten der Basler Bevölkerung im Sinne sozialer Empathie und Teilhabe zu mobilisieren. Allein dieser erste Basler Basar erbrachte die recht hohe Summe von 128.000 CHF.

Nur wenige Jahre später scheint das wirkmächtige Madonnenbild Hans Holbeins d. J. ebenfalls eine solch identitätsstiftende und integrative Wirkung zu entfalten und wird damit sehr viele Besucher_innen in das Basler Kunstmuseum führen. Diese Wirkung speist sich nicht nur aus dem allgemein hohen Stellenwert von alter Kunst in dieser noch von den Wirren des Krieges gezeichneten Zeit oder der prominenten Bedeutung des Bildes für die Geschichte der Stadt Basel, sondern gerade auch aus der offenbar Empathie erwirkenden Verbindung des Bildes mit der Geschichte der «Madonnenkinder». Hier begegnet jetzt nicht etwa eine rein selbstbezügliche Kunst à la l’art-pour-l‘art, sondern eine Kunst mit sozialer Relevanz. So präfiguriert den auch in gewisser Weise die Madonnenkinder-Aktion mit ihrer identifikatorischen und integrativen Wirkung die Picasso-Aktion von 1967, bei der junge Basler_innen sich für den Ankauf zweier Picassowerke, Arlequin assis (1923) und Les deux frères (1905), engagierten («Bettlerfest»). Sie motivierten damit nicht nur die Basler Bevölkerung dazu, in einem Volksentscheid der Ausgabe von 6 Mio. CHF für den Ankauf der Bilder aus dem Staatshaushalt zuzustimmen, sondern damit auch weitere Schenkungen von Picasso-Werken an das Museum.

So scheinen die beiden Aktionen denn auch eine neue Qualität hinsichtlich einer breiteren Identifikation mit der Öffentlichen Kunstsammlung Basel zur markieren. Öffentlich im Sinne einer soziale Teilhabe stiftenden Identifikation scheint diese zu werden, wenn die in ihr präsente Kunst auch soziale Dimensionen zeigt oder zu mobilisieren vermag. «… Sie hätten in den ersten Monaten an einem Sonntag ins Museum kommen müssen, um zu sehen, wie das Basler Volk zu Ihrem Bild wallfahrtete! Basel hat die Ankunft dieses Werkes buchstäblich wie eine Heimkehr gefeiert. Eine Welle der Dankbarkeit ist dem Museum entgegengeströmt dass es gelungen ist, dieses Bild für eine Zeit wenigstens, in seine Heimatstadt zu überführen.» (Georg Schmidt an den Prinzen Ludwig von Hessen vom 6.1.1948) Aufgrund des Besucher_innenandrangs musste das Bild temporär umgehängt werden. Dies führte jedoch zu einer «Lücke» im sog. «Holbein-Kabinett», war doch die Hängung dort auf die Kontextualisierung mit dem Madonnen-Bild eigens entwickelt worden.

«Unser Wunderwerk der Madonna» – Bildtypus und Symbolik

Das Madonnenbild Hans Holbeins d. J. lässt sich keiner Bildgattung eindeutig zuordnen. Es verarbeitet sowohl Elemente des Bildtypus des sog. «Stifterbildes» als auch des Bildtypus der sog. «Schutzmantelmadonna» wie ihn etwa das Bild von Piero della Francesca idealtypisch repräsentiert. Auch ist das Bild in seiner Funktion unklar. Im Unterschied zum traditionellen Stifterbild sind hier jedoch die Stifter (der Bürgermeister Jakob Meyer zum Hasen und seine Frau) nicht winzig klein dargestellt, ein Grössenunterschied entsteht nur durch die kniende Haltung der Stifter gegenüber der Madonna. Auch ist der von Marias Schultern herabfallende Mantel, welcher sich schützend um die Stifterfamilie legt, nur angedeutet. Ebenfalls sind die Schutzsuchenden – im Unterschied zum traditionellen Typus – kaum verkleinert dargestellt.

Die Schutz-Symbolik des Bild-Typus der Schutzmantelmadonna wird schliesslich zu einem Topos auch der Rot-Kreuz-Ikonographie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie findet sich etwa auf einer Postkarte anlässlich der Bundesfeier 1917 zur Unterstützung des Schweizerischen Roten Kreuzes. Hier stellt sich zudem eine Motivvermischung ein, welche gleich mehrere Bedeutungsebenen verbindet, so die der Maria als personifizierte Helvetia, erkennbar durch das weisse Kreuz auf rotem Grund («Schweizerpsalm») und als Umkehrung des roten Kreuzes auf weissem Grund eine Personifizierung des SRK. Mit strengem Blick schaut diese nach rechts die Gefahr bannend, während die unter ihrem Mantel schutzsuchenden Kinder den Blickkontakt zur Betrachter_in suchen, nach deren Empathie fragen. Kinderhilfe oder Schutz des Kindes nicht nur als Engagement des Schweizerischen Roten Kreuzes, sondern hier auch als nationale Aufgabe und Selbstverständnis. Auch das Plakat zum Kinderhilfebasar des Kunstmuseums Basel von 1942 von Alfred Heinrich Pellegrini greift auf diesen Motivschatz zurück. Im Motiv der Kindern Nahrung spendenden weiblichen Figur schliesslich tritt ein weitere assoziierbare allegorische Ebene auf, die der Caritas (Wohltätigkeit, Nächstenliebe, konkrete helfende Tätigkeit). «Das Wunderwerk der Madonna», so bezeichneten es die damaligen Initianten Prinzessin Margaret und Georg Schmidt, Direktor des Kunstmuseums Basel, ihr Werk. Mit dieser Formulierung ist nicht nur eine gelungene Aktion gemeint. Deutlich meint man hier auch eine spirituelle Aufladung herauszuspüren: die heilmächtigen Kraft der Madonna und die Präsenz dieser Kraft im Bild. So wie das Museum dem Bild als Schutz(h)ort in schwieriger Zeit diente, so vollbringt es jetzt in diesem Hort einen humanitären Akt der Fürsorge (Caritas) und des Schutzes.

Ein «Werk von Weltgeltung» – Original und Kopie

Um die Mitte des 19. Jh. zählte Holbeins Madonnenbild in Dresden zum berühmtesten Gemälde Holbeins in Deutschland. Holbein wurde als «Raphael des Nordens» gefeiert und damit die Ebenbürtigkeit der deutschen Kunst mit der italienischen postuliert. Eine Bestätigung dieser Ebenbürtigkeit sollte die Präsentation der Holbeinschen Madonna neben Raphaels «Sixtinischer Madonna» in Dresden liefern. Neben dem Dresdner Bild existierte jedoch noch eine weitere Fassung, welche – nach ihrem späteren Aufbewahrungsort – als Darmstädter Madonna bezeichnet wird, dies auch, um die beiden Fassungen voneinander abzugrenzen.

Über die Frage schliesslich, welche der beiden Fassungen das Original sei, kam es im 19. Jh. unter Künstlern, Kunsthistorikern und Laien zum sog. «Holbein-Streit». Sahen Künstler und Laien in der Dresdner Fassung eindeutig das Original, so setzten sich schliesslich die Kunsthistoriker mir ihrer Auffassung durch, dass das Darmstädter Bild das Original sei. Die Dresdner Kopie wird unterdessen Bartholomäus Sarburgh (um 1590 – nach 1637) zugeschrieben. Indes mochte die weitläufige Annahme, dass es sich beim Dresdner Gemälde um das Original Holbeins handle, den Basler Ratsherrn Karl Sarasin (1815-1886) veranlasst haben, in Dresden die Anfertigung einer Kopie dieses «Originals» in Auftrag zu geben, welche Julius Grüder (1824-1890), ein ausgewiesener Kopist und Holbeinexperte, anfertigen sollte. Diese Kopie war als ein Geschenk an die Öffentliche Kunstsammlung Basel anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der Universität im August 1860 gedacht. Ein möglicher Grund für diese Annahme mochte sein, dass Sarburgh in seiner Kopie einige Veränderungen gegenüber dem Darmstädter Original vorgenommen hatte, die offenbar dem Zeitgeschmack und den ideologischen Projektionen des 19. Jahrhunderts immer noch mehr zu entsprechen schienen als Holbeins Original. Die Frage des Originals war letztlich überlagert von sekundären Interessen.

Gestritten wurde schliesslich noch ein weiteres Mal, wenn auch unter anderen Vorzeichen und allein nur um die Darmstädter Madonna. Im sog. «Hessischen Museumsstreit» ging es zwischen den politischen und kulturellen Institutionen in Darmstadt und Frankfurt am Main um die Frage, in welcher der Städte das bedeutsame Bild nun dauerhaft aufbewahrt werden sollte. Nachdem dieser Streit im Jahre 2003 beigelegt worden war und das Bild zunächst in Darmstadt weilte, wurde es im Jahre 2011 von der sog. «Hessischen Hausstiftung» an den Unternehmer Reinhold Würth verkauft und wird seitdem im Chor der Johanniter-Kirche in Schwäbisch Hall ausgestellt.

«Der Basler Holbein» – «Wir dürfen uns nur eine ganz kleine Hoffnung machen, die Holbein-Madonna je kaufen zu können.»

Das ausserordentlich grosse Interesse Basels in der Vergangenheit an dem 1526 in Basel entstandenen Bild Hans Holbeins d. J. war bei weitem nicht nur sammlungspolitischer Natur, hätte es doch die ohnehin schon bedeutende Holbein-Sammlung des Kunstmuseums Basel mit einem seiner unbestrittenen Hauptwerke idealerweise ergänzt – das Museum besitzt neben den Porträtskizzen zur Darmstädter Madonna eine grosse Anzahl weiterer Werke aus dieser Phase des Holbeinschen Schaffens, so etwa Der tote Christus im Grab, das Bildnis des schreibenden Erasmus oder Die Passion Christi. Daneben waren es auch kulturideologische Aufladungen sowie das unverkennbar identifikatorische Potenzial des Bildes selbst, welche das Auftragswerk des ehemaligen Basler Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen zu einem für die kulturelle Identität der Stadt eminent wichtigen Zeugnis werden liessen.

Holbeins Bild galt darüber hinaus als «Werk der ersten Schöpfungen der Kunst aller Zeiten» oder als ein «Werk von Weltgeltung» und wurde damit gar zu einem gesamtschweizerischen, nationalen Gut. Eine nationale Vereinnahmung des Werks existierte jedoch nicht nur in der Schweiz. So musste die Basler Delegation, welche im Juni 1919 allein auf der Basis eines Gerüchtes nach Darmstadt reiste, um in Erfahrung zu bringen, ob das Bild nicht für Basel zu erwerben sei, erfahren, wie stark es als eines der Hauptwerke der deutschen Kunstgeschichte mit kulturpolitischen Ambitionen auch in Deutschland verknüpft war. Zwar befand es sich zu dieser Zeit noch in der ungeschützten Privatverfügung des Grossherzogs von Hessen, wurde jedoch bereits im Dezember 1919 per Erlass in das «Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke» eingetragen und mit einem Veräusserungsverbot ins Ausland belegt – in diesem Verzeichnis ist es noch heute. Freilich konnte die damals von Basel in Aussicht gestellte Summe von immerhin 1 Mio. Franken nicht gegen das Angebot eines John D. Rockefeller ankommen, der wenige Jahre zuvor bereit war, gar jeden Preis zu zahlen.

Nach 1919 war vor allem das Madonnenbild immer wieder Gegenstand in Auseinandersetzungen zwischen dem Volksstaat Hessen und dem Grossherzog, der darauf bestand, dass das Bild in seinen Privaträumen verbleiben und nicht im Landesmuseum Darmstadt öffentlich zugänglich sein solle. Es mag daher nicht verwundern, dass ein Leihgesuch Basels für die auf das Jahr 1923 geplante Holbein-Ausstellung anlässlich der 400-Jahrfeier des Holbeinschen Wirkens in Basel seitens des damaligen Besitzers abschlägig behandelt wurde. Dies war dann auch der Grund, warum die geplante Ausstellung in Basel auf unbestimmte Zeit verschoben, d. h. nicht realisiert wurde. Freilich 37 Jahre später – nach den Kriegserfahrungen und Madonnenkinder-Jahren – sollte dies dann möglich werden für die grosse Holbein-Ausstellung 1960 anlässlich der 500-Jahr-Feier der Universität Basel.

Sicherlich hätte auch die Ausstellung zum 400. Todesjahr Hans Holbeins d. J. 1943 das Original begrüsst, allein aufgrund der kriegsbedingt schwierigen Situation wurde die Ausstellung ausschliesslich mit Reproduktionen bespielt. Von einer Depopularität des Bildes war nach dem Krieg offenbar nichts mehr zu spüren, unterdessen war es nicht nur von den Basler_innen, sondern ebenso von den Darmstädter_innen als das «ihrige» geliebt. Und so schien nach sechs Jahren Asyl in Basel seine Rückkehr politisch mehr und mehr opportun. Gleichwohl vermeintliche Äusserungen des Prinzen 1947 wiederum die Hoffnung der Basler auf einen Erwerb des Bildes nährten, so wäre dessen Veräusserung ins Ausland seitens der amerikanischen Militärbehörden blockiert worden, wurde doch die Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken von 1932 auch nach 1945 von der Kontrollrats- und Militärregierungsgesetzgebung nicht aufgehoben. Das es dennoch gelang, das Bild fünf weitere Jahre in Basel zu belassen, ist einer klugen Idee der Prinzessin Margaret zu verdanken. Sie hatte – jenseits ideologischer Vereinnahmung des Bildes – vor allem dessen wirkmächtige Kraft in humanitärem Sinne gesehen und gezielt eingesetzt. Wer sollte nun eine Rückkehr des Bildes nach Darmstadt fordern wollen, wenn dessen Fernbleiben der Fürsorge der Darmstädter Kinder diente?

Kunstwissenschaftliche und restauratorische Forschung während der Ausleihe in Basel

Der Aufenthalt des Bildes in Basel war nun auch eine gute Basis und Impuls für seine weitergehende Erforschung. Erstmalig in der Geschichte des Bildes war damit neben kunsthistorischer auch restauratorische Forschung verbunden. So bestätigten die Untersuchungen, die im Kunstmuseum Basel in den 50er Jahren mittels Röntgen und Infrarot gemacht wurden, den Befund, dass das Darmstädter Gemälde mehrfach verändert wurde vor allem aber mit den in Basel erhaltenen Kreidestudien korrespondierte. Diese Untersuchungen bestätigten somit auch die ältere kunsthistorische Forschung, nach der das Darmstädter Bild das Original Holbeins darstellt. Ein zentrales Motiv der Forschung in Basel war indes die Frage seines historischen Aufstellungsortes und der damit verbundenen Rahmung des Bildes. Die angenommene architektonische Integration des Bildes in den Kapellenraum des Gundeldinger Schlosses in Basel schien dabei insbesondere für die Anlage des Bildes und damit seine Wirkung von entscheidender Bedeutung. Gleichwohl musste für die Präsentation des Bildes im musealen Kontext eine Rahmung gefunden werden, entbehrte das Gemälde doch seines historischen Rahmens, der im Darmstädter Schloss während des Krieges verbrannt war. Die angestrebte Lösung wäre eine Rahmung gewesen, welche sich an den Rekonstruktionsversuchen der damaligen Forschung orientierte und die Muschel hinter der Madonna mit einer Bogenlaibung umschlossen hätte. Allein dies schien damals technisch und finanziell nicht realisierbar, weshalb es bei einer rechteckigen Lösung blieb.

Quellen
Wikipedia-Einträge «Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes»; «Darmstädter Madonna», Schweizerisches Rotes Kreuz; Archivbestand des Schweizerischen Roten Kreuzes im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern unter «J2.15 Schweizerisches Rotes Kreuz (1866-) (1863-1994)»; Archivbestand des Staatsarchivs Basel-Stadt zur «Arbeitsgemeinschaft für Kriegsgeschädigte Kinder» unter FD-REG 1d 42-3 ; Archivbestand Kunstmuseum Basel zu den Madonnenkindern K01/15 und O16/09-11.

Literatur (ausleihbar über die Bibliothek des Kunstmuseums Basel)
Bader, Lena : Bild-Prozesse im 19. Jahrhundert, München, 2013 (= eikones) ; Bätschmann, Oskar, Griener, Pascal : Hans Holbein d. J. : Die Darmstädter Madonna, Frankfurt a. M., 1998 (= Kunststück) ; Bernsau, Tanja : Die Besatzer als Kuratoren? : Der Central Collecting Point Wiesbaden als Drehscheibe für einen Wiederaufbau der Museumslandschaft nach 1945, Berlin, 2013 (= Kunstgeschichte ; 96) ; Obenaus, Maria : Für die Nation gesichert? : Das Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke: Entstehung, Etablierung und Instrumentalisierung 1919-1945, Berlin, 2016 ; Stieniczka, Nobert : Die Auswirkungen der Revolution von 1918 auf Darmstädter Museen und Sammlungen, in: Kunst in Hessen und am Niederrhein, Nr. 36/37, Darmstadt 1998, S. 129 ff. ; Der Bürgermeister und sein Maler : Hans Holbeins Madonna im Städel, Petersberg, 2004 ; Brinkmann, Bodo und Schmid, Wolfgang (Hrsg.) : Hans Holbein und der Wandel in der Kunst des frühen 16. Jahrhunderts, Brepols, 2005 ; Hans Holbein d. J. : die Jahre in Basel 1515-1532, München, 2006 (= Katalog zur Ausstellung in Kunstmuseum Basel vom 1.4.-2.7.2006) ; Die Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen von Hans Holbein d. J. : ein neues Meisterwerk der Sammlung Würth in der Schwäbisch Haller Johanniterkirche, Künzelsau, 2012 ; Maaz, Bernhard : Hans Holbein d. J. : Die Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen in Dresden und Darmstadt : Wahrnehmung, Wahrheitsfindung und –verunklärung, Künzelsau, 2014