02 Feb. 2021
Die Führungsreihe «Inspired by her» zu aktuellen weiblichen Positionen im Kunstmuseum Basel führt uns mit diesem Beitrag zu Miriam Cahns Gemälde «alt/zornig».
Lebensgross und frontal erhebt sich die nackte Frauenfigur im fast quadratischen Format. Die Gestalt, aus allerfeinsten Farbnebeln gesponnen, leuchtet in blassem Rosa. Einsam, schonungslos exponiert, steht sie vor einer dunklen Ödnis. Die hellen Brüste wiegen schwer, das maskenhaften Gesicht wirkt starr. Die Augen sind leer und die Lippen zum Strich geformt, während sich die Finger an den herabhängenden Armen zu Krallen krümmen. Zeigt sich hier die Wut, die im Titel «alt/zornig» angedeutet wird? Lässt sie «Dampf» ab? Eine hellblaue Wolke scheint ihrem Kopf zu entweichen. In einem Interview meinte die Künstlerin, Frauen seien keine sanften Wesen und würden noch immer nicht als Menschen wahrgenommen, die auch böse und aggressiv reagieren dürften.
Aggression ist Lebensenergie, und Miriam Cahn setzt sie um. Beim Malen liefert die Künstlerin ihren Körper den Bildern aus und das ist sichtbar. Ihre Werke fordern heraus, provozieren eine emotionale Reaktion. Sie wirken als wären sie mit einer unbändigen Verve gemalt. Die existenzielle Thematik verstärkt die Konfrontation. Seit ihren schöpferischen Anfängen war das Mensch- und Frausein zentral in ihrer Arbeit, ebenso ihr wildes Aufbegehren gegen politische Verhältnisse und eine männlich konnotierte Kunsttradition.
In den 70er-Jahren entstehen expressive, schwarze Kreidezeichnungen auf riesigen Papieren. Kohlebilder auf Betonpfeilern der Nordtangente waren als Protest gegen eine seelenlose Planung gemeint. Später kommen farbige Bilder dazu. Leuchtende Pflanzen, Tiere und Menschen blicken uns aus Schattenaugen entgegen. In den 90er-Jahren bezieht Cahn künstlerisch Position zum Balkan- und Golfkrieg. Sie zeichnet und malt, was sie im Innersten beschäftigt. Figuren sprechen von Wut und Verzweiflung, von Gewalt und Sexualität, von zärtlichem Verlangen und Verletzung. Nicht etwa in illustrativer oder erzählerischer Weise, sondern sehr direkt und formal reduziert.
In jüngsten Werken wird die Endlichkeit zum Motiv ihrer Werke, nicht nur in gemalter auch geschriebener Form. In ihrem lyrischen Text «Wir waren alt» denkt sie darüber nach. Mit 63 Jahren malt Miriam Cahn «alt/zornig», weitere Bilder folgen. Der Naturalismus der Gebrechlichkeit interessiert sie dabei wenig, vielmehr die emotionale Gestimmtheit. Der Zorn treibt sie an, dem langsamen Verfall des Körpers und der schrumpfenden Zeit ausgeliefert zu sein. Wut sei ein guter Motor und Altersmilde von ihr nicht zu erwarten, meinte sie anlässlich ihrer Ausstellung in Bern 2019. Dort tauchte das Motiv des Alterns gleich in mehreren Werken auf. Während das Basler Bild eher eine im Zorn erstarrte Figur zeigt, betont eine vergleichbare Komposition in Bern, «altekriegerinich», die Kampfbereitschaft der Frau, die mit primitiven Waffen, Stab und Stein, ausgerüstet ist. Wehrhaft war Miriam Cahn immer, und so geht sie auch zum Altern in die Offensive. Sie stellt sich dem Unvermeidlichen und den damit verbundenen ambivalenten Gefühlen und lässt daraus ausdrucksstarke Bilder entstehen.
Im Basler Bild erscheint der Körper geisterhaft und fern, dennoch ganz nah – die Füsse, vom Bildrand angeschnitten, befinden sich im Betrachtungsraum. Ein gefährliches Gegenüber! Miriam Cahn konfrontiert uns nicht nur mit ihrer einsamen Wut. Auf dem Hintergrund einer endzeitlichen Landschaft, hält sie uns den Spiegel vor und erinnert an die eigene Endlichkeit.
Autorin: Iris Kretzschmar, Kunsthistorikerin, Kunstvermittlerin und freie Autorin