08 Juni 2020
Ein Selbstporträt von Augusta Roszmann findet sich in der Sammlung des Kunstmuseums Basel. Wer war die belgische Malerin?
Im ersten Obergeschoss des Kunstmuseums Basel finden sich gleich zwei Selbstporträts zusammen in einem Raum. Obwohl beide Bilder im gleichen Jahrzehnt gemalt wurden und die Künstlerinnen etwa im gleichen Alter sind, unterscheiden sich die Bilder eklatant in Ausdruck, malerischer Herangehensweise und Intention. Nachdem das Porträt von O. W. Roederstein bereits Thema einer früheren Besprechung war, steht nun das Selbstbildnis vor Staffelei der belgischen Künstlerin Augusta Roszmann im Fokus. Das Bild ist ein Geschenk der Künstlerin an das Museum und zeigt sie im Alter zwischen 26 und 30 Jahren. Ein Zettel auf dem Keilrahmen ist mit der aufschlussreichen Widmung versehen: «Je lègue cette toile au / musée de Bale. / fait à l’atelier Julian / professeur J. Lefèbvre / année 1885-1890 /A. Roszmann». Wenig ist über die Malerin, die in Belgien, Paris und Basel lebte, bekannt. Welch glücklicher Zufall, dass 2019 Juri Schmidhauser mit seiner Seminararbeit am Kunsthistorischen Seminar der Universität Basel mehr Licht in Leben und Werk dieser Künstlerin gebracht hat. So beruhen die nachfolgenden biographischen Informationen auf seinen Recherchen und seien hier ausdrücklich verdankt.
Die Künstlerin wurde 1859 als Augusta Charlotte Cornelie Roszmann in eine wohlhabende Familie in Gent geboren. 1883 zog sie nach Paris, um dort eine Ausbildung an der Académie Julian zu absolvieren, die sie Mitte der 1890er mit Erfolg abschloss. 1885 starb ihr Vater, und sie erhielt wahrscheinlich keine Unterstützung mehr. Mehrere Anträge für Stipendien an die Stadt Gent weisen darauf hin. Bis 1896 zeigte sie regelmässig ihre Werke in den Salons von Paris und behauptete sich erfolgreich vorwiegend als Porträtmalerin in der damaligen Ausstellungsszene. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet: 1889 erhielt sie eine Mention Honorable, 1893 konnte sie an der Weltausstellung in Chicago ausstellen, und 1900 wurde sie an der Weltausstellung von Paris mit der Bronzemedaille geehrt. Als «artiste peintre» verdiente sich Roszmann mit Bilderverkäufen ihren Lebensunterhalt und war damit eher eine Ausnahmeerscheinung, weil Erwerbstätigkeit im 19. Jahrhundert für Frauen nicht vorgesehen war. 1895 zog sie zu ihrer Künstlerfreundin Louise Amans, die sie an der Académie Julian kennengelernt hatte, nach Basel an die Schützenmattstrasse. Hier wohnte sie über 40 Jahre lang, stellte ab 1900 regelmässig in der Kunsthalle Basel, in anderen Schweizer und europäischen Städten aus. Durch den Kontakt zu den wohlhabenden Familien vor Ort erhielt sie Porträtaufträge, unterrichtete Privatgruppen, und möglicherweise ist hier auch der Impuls für die Schenkung ihres Selbstporträts an das Kunstmuseum zu finden. Erst einige Jahre vor ihrem Tod kehrte sie nach Gent zurück.
Wie zeigt sich die Künstlerin in ihrem Selbstbildnis aus der Pariser Zeit? Ernst, selbstbewusst und ohne Pathos blickt uns die junge Frau frontal, aus auffallend dunklen Augen, entgegen. Das Haar locker aufgesteckt, gekleidet in ein schlichtes, blaugraues Malergewand, das über der Brust locker gerafft und in der Taille geschnürt ist, sitzt sie leicht abdreht auf einem Stuhl vor einer aufgespannten Leinwand. Deren genagelte Seitenkante ist links erkennbar, während im unteren Bildteil ein Sektor der Palette erscheint. Darauf zwei kleine leuchtende Kleckse in Rot und Weiss, die die Farben des Inkarnats aufnehmen und einen Kontrast zu den grossflächig angelegten, gebrochenen Tönen bilden. Die Farbstimmung in Blaugrau, Grün und Ocker ist verhalten, die Pinselgesten sind lockerer gesetzt – insgesamt ist der Malstil näher am Impressionismus als bei Roederstein, ohne dessen Gesetzmässigkeiten anzuwenden. Das gedämpfte Licht fällt von schräg oben ein, betont die Schulterpartie der Künstlerin, setzt kleine Glanzstellen auf Stirn und Nase und lässt den Türknauf und die Stuhllehne aufleuchten.
Der Hintergrund ist hier von besonderem Interesse. In verhaltenen Grüntönen gemalt, ist er mit feinen Leisten in zwei Zonen gegliedert, die obere heller als die untere. Links ist eine Türöffnung mit Knauf erkennbar. Ein skizzenhaft belassenes Bild in einem feinen dunklen Rahmen erscheint rechts. Darauf ist ein Gebäude angedeutet. Besonders sprechend sind die aufgehängten Abgussmodelle. Solche Gipsformen waren in Künstlerateliers und -schulen seit dem 16. Jahrhundert weit verbreitet und dienten u.a. dem Studium des Körpers. Neben Abgüssen von Antiken existierten auch solche nach Lebendmodellen.
Die Académie Julian, wo Roszmann studierte, war zu jener Zeit eine der wenigen Stätten, die auch Frauen das Aktstudium gewährten. Links vom Kopf der Künstlerin ist der Teilabguss eines Gesichts von der Augenpartie zu sehen, während rechts wahrscheinlich der Teilabguss einer Hand und ein männlicher Kopf erscheinen. Dieser ist eher kein antikes Haupt, vielmehr eine neuere Kopfstudie, ev. eine bearbeitete Totenmaske bzw. ein Lebendabguss. Ganz rechts, angeschnitten vom Bildrand, erkennt man die Schulterpartie einer Büste. Weiter unten, von der Künstlerin weitgehend verdeckt, ist eine Hälfte einer möglichen Gewandstatuette zu erkennen. (Mit Dank an Tomas Lochmann)
Das Selbstporträt von Augusta Roszmann ist nicht nur ein zeitgeschichtlich interessantes Dokument, sondern weckt auch das Bedürfnis, mehr über ihr Schaffen zu erfahren. Es steht für eine Umbruchzeit, als Künstlerinnen vermehrt an die Akademien drängten, sich zu organisieren begannen und in verschiedenen Ländern in ersten Sonderausstellungen auftraten. Mit ihrem Selbstporträt zeigt sich Augusta Roszmann bei der künstlerischen Arbeit und stellt sich in die Tradition ihres Berufstandes mit selbstbewusstem Bezug zum Studium an der Akademie. Das Bild ist wahrscheinlich direkt in einem der Ateliers der privaten Académie Julian bei Professor Jules Lefèbvre entstanden. Trotz schwer auffindbarer Belege scheint Roszmann, wie viele andere Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts auch, eine erfolgreiche Künstlerin in ihrer Zeit gewesen zu sein, deren Werk einen höheren Stellenwert und mehr Aufmerksamkeit verdient.
Autorin: Iris Kretzschmar, Kunsthistorikerin, Kunstvermittlerin und freie Autorin