Das Kunstmuseum Basel präsentiert inmitten der Sammlung Alter Meister im Hauptbau die neuesten Werke des Künstlers Anri Sala (geb. 1974, Tirana, Albanien). Gezeigt werden sechs Fresken, die 2023 entstanden sind und von der Emanuel Hoffmann-Stiftung im selben Jahr erworben wurden. In ihnen lässt Sala die historische Handwerkstechnik der al fresco Malerei wiederaufleben und verbindet sie mit Reflexionen über Zeitlichkeit und Narration – beides Themen, die sein künstlerisches Schaffen prägen.
Freskenmalerei ist eine Technik, die vor allem die italienischen Meister der Früh- und Hochrenaissance, allen voran Ghirlandaio, Raffael und Michelangelo zu höchster Vollendung geführt haben. Erste Erfahrungen mit Freskenmalerei sammelte Anri Sala während seines Kunststudiums in Tirana, Albanien. Bis heute fasziniert ihn der begrenzte zeitliche Rahmen bei der Ausführung eines Freskos, in der er einen Bezug zu seinem zeitbasierten Medienschaffen erkennt.
Die Malfläche eines Freskos baut sich aus mehreren Arbeitsschritten auf, die jeweils im Laufe eines Tages als «giornata» ausgeführt und entsprechend sorgsam geplant werden müssen. Dabei unterteilt sich der Prozess in zwei wesentliche Arbeitsschritte: Das Auftragen der Vorzeichnung auf den feuchten Putz, «arriccio», sowie das Auftragen des Pigments auf das «intonaco», einer weiteren dünnen Putzschicht. Nur solange der Putz feucht und noch nicht gehärtet ist, lässt sich das Pigment verarbeiten. Nach dem Trocknen sind die Pigmente an die bearbeitete Oberfläche gebunden und Veränderungen nicht mehr möglich.
Zwei von den insgesamt sechs im Kunstmuseum gezeigten Fresken gehören zur Werkserie Legenda Aurea Inversa. Sala zitiert damit ein Kunstwerk von gigantischer Dimension: Piero della Francescas umfangreicher Freskenzyklus der Legende des Heiligen Kreuzes, der um die Mitte des 15. Jahrhunderts ausgeführt wurde und sich in der Basilika San Francesco in Arezzo befindet. Sala nimmt dieses kunsthistorisch bedeutende Fresko zwar als Ausgangspunkt, greift aber einzelne Ausschnitte heraus, die er wie mit dem Sucher einer Kamera fokussiert und signifikant modifiziert. In beiden Werken kehrt er die Farben um wie bei einem fotografischen Negativ. «Ich fertige im Voraus das Negativ des Bildes an, das entstehen würde, wenn das Fresko von Piero della Francesca eine Farbfotografie gewesen wäre.»
Die vier weiteren Fresken gehören zur Serie Surface to Air. An ihnen ist die bereits erwähnte Schichtung der Freskentechnik besonders gut ablesbar. Sie basieren auf fotografischen Aufnahmen, die Sala aus einem Flugzeug heraus vom Wolkenmeer aufgenommen hat. Untertitel wie «Morning» oder «Afternoon» geben einen Hinweis auf die Tageszeit und begründen die dadurch bedingte Lichtstimmung.
In beiden Werkserien integriert Sala Marmorelemente, die teils aus der Bildfläche herausragen oder sich exakt darin einfügen. Sie funktionieren in doppelter Hinsicht: Einerseits als Fortsetzung der Malerei, aber auch als Scharnier zwischen unterschiedlichen zeitlichen Ebenen, indem die Marmorelemente fehlende Stellen, wie sie aus historischen Wandbildern bekannt sind, ergänzen: «Plötzlich entsteht diese zeitliche Dimension, die mich sehr interessiert, wenn die eingefügten Marmorelemente die fehlenden Teile eines alten Freskos verkörpern.»
Die Fresken können als Aufnahme und Weiterführung von Anri Salas Reflexionen über Zeitlichkeit und Narration gelesen werden. Beides sind Themen, die in diesen neuen Werken ebenso wie in seinen raumgreifenden Video- und Klanginstallationen wiederholt von Bedeutung sind.
Mit Anri Salas künstlerischer Arbeit setzt sich die Emanuel Hoffmann-Stiftung seit 2004 auseinander – in diesem Jahr tätigte sie die ersten Ankäufe für ihre Sammlung. Die Fresken der Werkserien Legenda Aurea Inversa und Surface to Air wurden 2023 erworben. Insgesamt befinden sich neben den sechs Fresken noch vier Zeichnungen und drei raumgreifende Video- und Soundinstallationen von Sala im Besitz der Emanuel Hoffmann-Stiftung.