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Jawlensky und Soutine

Zeugen eines zerrissenen Jahrhunderts

HAUPTBAU Zwischengeschoss / 17.10.2020–10.10.2021 / Kuratorin: Henriette Mentha

Gesellschaftliche Verwerfungen führten zu Brüchen in den Biografien Alexej von Jawlenskys und Chaïm Soutines. Beide verliessen ihre russische und weissrussische Heimat und kamen in den Westen: Jawlensky 1906 nach München, Soutine 1913 nach Paris. Das Kunstmuseum Basel zeigt ihre Werke aus der Sammlung Im Obersteg in einer intimen Kabinettausstellung.

Jawlensky fasste schnell Fuss in der bayrischen Hauptstadt. Doch der Krieg setzte seinem erfolgreichen Künstlerdasein in München ein jähes Ende: Er fand Exil in der Schweiz in einem kleinen Fischerdorf am Genfersee, wo er mehrere Jahre in Abgeschiedenheit arbeitete. Sein Leben blieb schwierig, wurde gezeichnet von der ungewissen Situation als Exilkünstler, von gesundheitlichen Problemen und in den dreissiger Jahren von den Repressionen der Nazis in Deutschland, wo er seit 1921 wieder lebte. Jawlenskys Weg in eine vermehrt von geistigen Inhalten geprägte künstlerische Sprache, die Präferenz für ein Arbeiten in geschlossenen Serien, die ihm eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema der Landschaft und des menschlichen Gesichts erlaubte, war für das Publikum neu und fremd. Der Maler lehnte das Angebot ab, als Lehrer am Bauhaus tätig zu sein, weil er als freier Künstler wirken wollte.

Der Basler Sammler Karl Im Obersteg war mit Alexej von Jawlensky befreundet und unterstütze ihn bei der Vermittlung von Ausstellungen in der Schweiz. 1958 skizzierte Im Obersteg in einem Brief an eine Freundin Jawlenskys Rezeption folgendermassen: „Jawlensky ist noch nicht genug anerkannt; er ist schwer zu verstehen, die Leute wollen Abstraktionen oder Ikonen finden. Dabei sind seine Bilder doch ganz einfach der Ausdruck von unterbewussten, tiefen Gefühlen in einfacher, lesbarer Form (beinahe Zeichen).“

Chaïm Soutine entfloh seinem kunstfeindlichen jüdischen Umfeld in Minsk, um sich in Paris der Malerei zu widmen. Im Louvre studierte er intensiv die Kunst der Alten Meister. Noch sprach er kein Französisch, sondern war nur seiner jiddische Muttersprache und des Russischen kundig. Ein schweres Magenleiden, das Jahre später zu seinem Tod führte, überschattete sein Leben ebenso wie der immer währende Mangel eines gesunden Selbstwerts. Soutine lebte in prekären Verhältnissen, auch als er vom polnischen Kunsthändler Léopold Zborowski gegen ein äusserst bescheidenes monatliches Entgelt unter Vertrag genommen wurde.

1922 aber erlangte der Einzelgänger aus Weissrussland in Paris schlagartig Bekanntheit – dank des spektakulären Verkaufs von 52 seiner Werke an den amerikanischen Pharmazeuten und Kunstsammler Albert C. Barnes, der in den USA mit der Erfindung des Desinfektionsmittels Argyrol ein Vermögen gemacht hatte. Der Verkauf kam über Barnes‘ jungen Kunstberater Paul Guillaume zustande. Guillaume handelte anfänglich mit afrikanischer Stammeskunst, die von progressiven Künstlern wie Pablo Picasso gesammelt wurde. Eretablierte sich dann als wichtigster Vertreter der sogenannte École de Paris, zu der auch Soutine zählt. Das Interesse an aussereuropäischer Kunst teilten bald auch Kunstsammler wie Albert C. Barnes oder Karl Im Obersteg. Parallel dazu gewann die europäische Volkskunst durch die Münchner Avantgarde (Blauer Reiter) an Beachtung und Ansehen.

Chaïm Soutine griff verschiedentlich Sujets der Alten Meistern auf (Chorknabenportraits, Stillleben mit toten Tieren, geschlachtete Rinder), doch führten seine sehr direkte Herangehensweise, die beunruhigend kurze Distanz, aus der er seine Modelle malte, und die Kompromisslosigkeit und Vehemenz seines pastosen Farbauftrags zu ganz anderen Lösungen. So sind Soutines Porträts nicht vom üblichen distanzierten Verhältnis von Maler und Modell beziehungsweise Sujet geprägt, sondern zu einem wechselseitigen Energie-austausch offenen Ausgangs erklärt. Soutine fokussierte ausschliesslich auf seine Modelle, die er an die vordere Bildgrenze platzierte und in fesselnder Frontalität schonungslos erfasste.

Auch das Leben des Basler Spediteurs und Kunstsammlers Karl Im Obersteg verlief nicht immer in ruhigen Bahnen. Bereits in jungen Jahren erkrankte er an Tuberkulose, die seinen allgemeinen Gesundheitszustand nachhaltig prägte. Im Ersten Weltkrieg konnte er deshalb keinen Wehrdienst leisten. Stattdessen setzte er sich in Basel für Flüchtlinge und verletzte Soldaten ein. Der frühe Verlust der geliebten Ehefrau Marianne Im Obersteg-Buess 1935 traf ihn hart, wenn auch nicht ganz unvorbereitet: Die junge Frau war viele Jahre lang immer wieder krank gewesen. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte Im Obersteg in Genf. Er stellte sein Fachwissen und Netzwerk der Logistik und des Transportwesens sowie sein diplomatisches Flair den Engländern zur Verfügung. So kann man davon ausgehen, dass dem Basler die Schwierigkeiten, mit denen sich Künstler wie Alexej von Jawlensky und der Jude Chaïm Soutine konfrontiert sahen, ihre Ausgrenzung, Verfolgung und gesundheitlichen Probleme, bestens bekannt waren. Ein Blick auf seine Kunstsammlung, die auch jüdische und als entartet verunglimpfte Künstler beinhaltet und das Bild des Menschen als zentrales Sujet zu erkennen gibt, lässt vermuten, dass Im Obersteg bewusst nach künstlerischem Ausdruck suchte, der die Konflikte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spiegelte. Die Werke von Jawlensky und Soutine nehmen jedenfalls auf ganz unterschiedliche Art und Weise Bezug auf zutiefst existenzielle Fragen des Lebens.