Vor 40 Jahren richtete Marcel Broodthaers im Kunstmuseum Basel eine Ausstellung ein. Eloge du Sujet war die erste Einzelausstellung des Künstlers in der Schweiz. Das Museum für Gegenwartskunst nimmt das Jubiläum zum Anlass, um mit einer Ausstellung die immense Aktualität zu vermitteln, die Broodthaers’ Werk bis heute für die Gegenwartskunst hat.
Le Corbeau et le Renard ist dabei insbesondere dem filmischen Schaffen von Marcel Broodthaers (1924 – 1976) gewidmet. Sieben Filme und Filminstallationen werden durchgehend gezeigt. Ausserdem setzt die Ausstellung Arbeiten von Hans Arp, Robert Barry, Alighiero Boetti, László Moholy-Nagy, Dieter Roth und John Smith in einen spielerischen Dialog.
Le Corbeau et le Renard fragt zum einen nach dem Verhältnis von bildender Kunst und Dichtung bzw. Sprache im Werk von Marcel Broodthaers, einem Künstler, der sich lange als Poet definiert hat, bevor er relativ spät, etwa mit Anfang vierzig, die Bühne des Kunstbetriebs betritt. Zum anderen ist sie der Form gewidmet, in welcher Broodthaers das Medium Film einsetzt, um diverse Arten künstlerischer und nicht künstlerischer Materialien und Recherchen zu verknüpfen und umzuschreiben. Titelgebend für das Projekt ist eine 1967 entstandene Filminstallation, die Broodthaers nach Jean de La Fontaines gleichnamiger Fabel von 1668 benannt hat.
Broodthaers’ Filme brechen mit zahlreichen Standards des Mediums und der Institution Kino. Er experimentiert mit der Flächigkeit des Filmbilds ebenso wie mit der Umkehrung von Belichtungsprozessen oder Positiv-Negativ-Verhältnissen. Indem er Film auf eine zuvor selbst bedruckte Leinwand projiziert, bricht er mit einer bis dato grundlegenden Konvention des Kinos: der Konzentration auf die Immanenz des filmischen Bildes. Mal verwendet der Künstler die Untertitelungsmaschine, um Handzeichnungen auf Film zu übertragen, mal setzt er die Untertitel wie die Verszeilen eines Gedichts ein. Indem er – in Archiven und Antiquariaten gefundene – Post- und Landkarten oder Amateurmalereien abfilmt, spielt er mit den Widersprüchen sowohl zwischen statischen und bewegten Bildern als auch zwischen Kunst- und Alltagsobjekten. Ausserdem zeigt er mehrere Filme parallel in einem Raum, gemeinsam mit Vorführgeräten und häufig noch anderen Werken wie Diaprojektionen, Drucken etc. Die Filme dokumentieren Broodthaers’ undogmatischen und wegweisenden Gebrauch von unterschiedlichen, teils diskrepanten ästhetischen Verfahren.
Broodthaers lässt auch früh Grenzen zwischen künstlerischen und kuratorischen Ansätzen durchlässig werden, zum Beispiel wenn er Alltagsgegenstände, Archivmaterialien, Memorabilien, Kunstobjekte oder auch Amateurkunst aus ihren jeweiligen Kontexten heraus auf neue Präsentations- und Vermittlungsformate überträgt. Dabei bedient er sich der Installation, der Diaprojektion, des Buchs, der Vitrine und diverser Formate des Museums oder des Kinos, die neben Dichtung, Zeichnung, Collage, Objekt, Foto und Film Elemente seines Werks bilden. Zu einer Zeit, in der das Paradigma des Mediumspezifischen in Kritik und Kunstproduktion noch Gültigkeit besitzt, verleiht Broodthaers einer Praxis das Gesicht, die als »postmedial« bezeichnet wird.
In La Fontaines Fabel Le Corbeau et le Renard kehrt der Fuchs aufgrund seines rhetorischen Geschicks die materiellen Verhältnisse zwischen dem Raben und sich selbst um. Broodthaers hat sich immer wieder mit dieser Fabel beschäftigt. Sie verkörpert einen Ansatz, der sich im übertragenen Sinne auch auf seine eigene Arbeitsweise beziehen lässt. So berichtet der kurze Text vom Potenzial der Sprache, mit ihrem Witz, ihren semantischen Ambivalenzen und ihrer poetischen Offenheit die gegebene Realität destabilisieren zu können. Realität war bei La Fontaine konkret durch die Gegebenheiten bei Hofe und die Winkelzüge der Höflinge definiert. Bei Broodthaers dagegen verkörpert der Rabe aus Le Corbeau et le Renard ein anderes, weniger klar definierbares Kräfteverhältnis. Eine Realität, die sich aus den institutionalisierten und offiziell sanktionierten Verfahren kultureller Produktion und den Massgaben des durch sie begründeten akademisch-kritischen Kanons herleitet. In Abkehr von den Mustern dieses Betriebs widmet sich Broodthaers seinem Begehren, Möglichkeiten des Schreibens zu (er)finden, die über die Sprache hinausführen. Relevante Spuren für dieses Begehren finden sich in Broodthaers’ eigenen Bezugnahmen auf andere Dichter-Künstler, zum Beispiel auf Stéphane Mallarmé, Charles Baudelaire oder René Magritte. So zeigt etwa Magrittes 1929 entstandenes Bild La trahison des images (dt. Der Verrat der Bilder) – besser bekannt als »Ceci n’est pas une pipe« (dt. Dies ist keine Pfeife) –, dass der Aufstand der Sprache sich nicht nur auf ihren eigenen Status beziehen muss (wie beispielsweise in der konkreten Poesie), sondern dass er die semantische Produktion des Kunstwerks als Ganzes betreffen kann. Mallarmés Gedicht Un coup de dés jamais n’abolira le hasard (dt. Ein Würfelwurf, 1897) führt in entgegengesetzter Richtung vor, wie Grammatik und Bedeutung des Textes durch den Aufstand der Visualität erneuert werden können. Broodthaers setzt an der Schnittmenge dieser beiden Bewegungsrichtungen an. Durch die Zuspitzung der Antithese von Anschauung und Begriff innerhalb seines Werks wirft er die Frage nach dem Potenzial des ästhetischen Zeichens, zwischen Mensch und Welt vermitteln zu können, kontinuierlich auf. In der Ausstellung werden ausserdem Werke von Hans Arp, Robert Barry, Alighiero Boetti, László Moholy-Nagy, Dieter Roth und John Smith mit ihren je eigenen künstlerischen Perspektiven auf die hier angesprochenen Fragen in einen spielerischen Dialog mit Broodthaers’ Arbeit gesetzt.
Als Teil der Ausstellung richtet die Tochter des Künstlers, Marie-Puck Broodthaers, drei Vitrinen mit Stücken aus ihrem Archiv ein, die sich auf die Basler Ausstellung von 1974 beziehen.
Das Projekt zeigt Filme und Werke aus dem Bestand der Emanuel Hoffmann-Stiftung und wird um Leihgaben des Estate Marcel Broodthaers, des Musée cantonal des Beaux-Arts Lausanne und private Leihgaben aus Basel, Brüssel, Köln und Zürich erweitert.
Mit Hans Arp, Robert Barry, Alighiero Boetti, Marcel Broodthaers, László Moholy-Nagy, Dieter Roth und John Smith.
Die Ausstellung wird unterstützt durch: Fonds für künstlerische Aktivitäten im Museum für Gegenwartskunst der Emanuel Hoffmann-Stiftung und der Christoph Merian Stiftung und Laurenz-Stiftung, Schaulager.