Saalblatt

Lichtgestalten

Kleinformatige Glasgemälde waren im 16. Jahrhundert in Süddeutschland und in der Schweiz weit verbreitet. Sie schmückten Klöster und Kirchen, Rats- und Zunfthäuser sowie Universitätsgebäude. Nur wenige dieser Werke blieben erhalten. Gezeichnete Entwürfe gibt es hingegen noch viele. Sie stammen häufig von namhaften Künstlern wie Hans Holbein d. J., Niklaus Manuel und Tobias Stimmer. Dass diese im Kontext der Glasmalerei tätig waren, ist heute allerdings kaum bekannt.

Vorzeichnungen und Glasgemälde werden in dieser Ausstellung wieder zusammengeführt. Sie sind dabei nicht nur wegen ihrer künstlerischen Qualität, sondern auch als kulturhistorische  Zeugnisse äusserst wertvoll. So wurden Glasgemälde  durch Institutionen  wie die eidgenössischen Stände (heute: Kantone), Klöster, Zünfte oder einzelne Personen in Auftrag gegeben. Die Stiftung eines Glasbildes war fester Bestandteil der gesellschaftlichen Kommunikation: Allianzen, Ämter und Ehrungen fanden darin ihren repräsentativen Ausdruck. Das Wappen des Stifters durfte daher auf kaum einem Werk fehlen. Darüber hinaus besteht eine grosse Auswahl an Themen: religiöse Darstellungen, Personifikationen und Allegorien sowie Bilder aus dem Berufsalltag und der eidgenössischen Geschichte.

Raum 1

Von der Zeichnung zum Glasgemälde

Die Zuschreibung von Glasgemälden ist schwierig, da diese selten signiert wurden. Tatsächlich wissen wir heute mehr über die entwerfenden Zeichner als über die ausführenden Glasmaler. Dadurch gerät leicht aus dem Blick, dass das Glasgemälde  das eigentliche Kunstwerk war. Es besteht  aus einzelnen  Glasstücken  unterschiedlicher  Färbung.  Die Bemalung erfolgte mit Schwarzlot und Silbergelb, seit Mitte des 16. Jahrhunderts standen weitere Farben zur Verfügung. Durch das Brennen im Ofen verband sich die Malerei untrennbar mit dem Glas. Am Ende wurden die Glasstücke mit Bleistegen zu einem Bild zusammengefügt.

Die Vorzeichnung,  der «Scheibenriss»,  ist im Massstab 1:1 angelegt. Manche Entwürfe sind detaillierte Präsentationsstücke  für den Auftraggeber,  andere dienten als direkte Arbeitsvorlagen.  Häufig sind dann dekorative Teile nur auf einer Seite vorgezeichnet,  da sie vom Glasmaler spiegelbildlich ergänzt werden konnten. Die Zeichnungen wurden in den Werkstätten gesammelt und weitervererbt.

Niklaus Manuel

Der Berner Künstler Niklaus Manuel (um 1484–1530) ist vor allem als Maler, Zeichner und Dichter ein Begriff. Die frühesten  Werke, die überhaupt mit ihm in Verbindung gebracht werden, sind Vorzeichnungen für Glasgemälde. Sie entstanden zu einer Zeit, als sich kleinformatige Glasbilder gerade als beliebte Kunstgattung etablierten. Manche vermuten sogar, dass Manuel selbst als Glasmaler gearbeitet habe. Zu seinen bevorzugten Motiven in diesen frühen Arbeiten zählen eidgenössische Krieger und verführerische Frauen.

Bemerkenswert ist Manuels Zeichnung aus dem Jahr 1527 mit einer Begebenheit aus dem Alten Testament: König Josua und die Zerstörung der Götzenbilder. Das Thema lässt sich auf die von Reformatoren geäusserte Kritik an sakralen Bildern beziehen. Tatsächlich wurden 1528 auch in Bern Gemälde und Skulpturen aus den Kirchen entfernt und zerstört. Glasgemälde waren von diesem Bildersturm jedoch ausgenommen, da sie nicht kultisch verehrt wurden.

Antoni Glaser

Basel war seit 1501 Mitglied der Eidgenossenschaft. Um die Zugehörigkeit zum Bündnis zu demonstrieren, stattete man im neu erbauten Rathaus die Vordere Ratsstube (den heutigen Regierungsratssaal) mit Standesscheiben aus. Diese zeigen die Wappen der 13 Mitglieder der damaligen eidgenössischen Gemeinschaft (die «Stände»). Sie befinden sich heute immer noch an ihrem ursprünglichen Ort.

Die Glasgemälde sind Werke von Antoni Glaser (um 1480/85–1551). Er ist der erste Glasmaler Basels, dem man ein konkretes Œuvre zuschreiben kann. Seine Glasgemälde im Rathaus und die einzige dazu erhaltene Vorzeichnung zeigen das typische Schema einer Standesscheibe: Das Wappen wird von Figuren, den Schildbegleitern,  flankiert. Es erscheint als Wappenpyramide: Zwei Schilde sind einander zugewandt und werden von Reichsschild und Kaiserkrone überhöht, womit an die Reichsunmittelbarkeit  der Eidgenossen erinnert wird.

Hans Holbein
Hans Holbein d. J. (1497/98–1543)  ist der bedeutendste Künstler, der im Kontext der Schweizer Glasmalerei aktiv war. Angeregt durch die Werke der italienischen und Augsburger Renaissance, entwickelte er eine eigene Bildsprache. Das Besondere an Holbeins Entwürfen ist der Einsatz antikisierender Architekturen und ihre tiefenräumliche Inszenierung.  Häufig lässt ein niedriger Augenpunkt das Dargestellte monumental erscheinen. Durch den kontrastreichen Wechsel von Hell und Dunkel werden ausserdem die plastischen Qualitäten betont. Schliesslich zeigt sich auch in den geistreichen Motiven und virtuosen Kompositionen die ausserordentliche Qualität seiner Kunst.

Holbeins Werke haben die Glasmalerei nachhaltig geprägt und einen deutlichen Einfluss auf jüngere Meister wie Balthasar Han und Ludwig Ringler ausgeübt (beide Raum 3).

Werkstattpraxis

Hans Holbein d. J. (1497/98–1543) zeichnete seine Entwürfe vermutlich für Antoni Glaser (um 1480/85–1551),  den seinerzeit führenden Glasmaler in Basel. So ist belegt, dass Glaser Holbeins Scheibenriss mit dem Terminus, dem Zeichen des Humanisten Erasmus von Rotterdam, in einem Glasgemälde realisierte.

Holbeins Kunst hat viele Künstler beeinflusst. Auch zahlreiche Scheibenrisse sind deutlich durch seine Bildwelt, seinen Stil und seine Zeichentechnik geprägt, werden aber nicht als eigenhändige Arbeiten angesehen. Sie entstanden vermutlich in Holbeins Werkstatt oder in seinem Umfeld.

Auch war das Kopieren von Entwürfen sehr verbreitet. Dies geschah häufig in der Werkstatt des Glasmalers, womöglich im Rahmen der schrittweisen Entstehung eines Glasgemäldes. Vorzeichnungen wurden aber auch vervielfältigt, um sie für andere Aufträge einzusetzen. Dies hat erheblich zur Verbreitung der holbeinschen Motive beigetragen.

Raum 2

Hans Süss von Kulmbach

In Nürnberg gab es in den Jahrzehnten um 1500 eine reiche Produktion an Glasgemälden. Hier betrieb der Glasmaler Veit Hirschvogel d. Ä. (1461–1525) eine erfolgreiche Werkstatt. Die grosse Qualität seiner Werke ist unter anderem den Vorzeichnungen zu verdanken, für die er in Nürnberg ansässige Maler wie Albrecht Dürer, Hans Baldung und Hans Süss von Kulmbach verpflichtete. Mit über 40 Scheibenrissen – rund einem Drittel seiner erhaltenen Zeichnungen – gilt Kulmbach als aktivster Entwerfer für Glasgemälde aus dem Dürer-Kreis.

Kleine Rund- und Vierpass-Scheiben waren in Nürnberg besonders beliebt. Die Entwürfe wurden miteinander kombiniert und für verschiedene Aufträge eingesetzt. Vor allem die Rahmen wurden vom Glasmaler ausgetauscht und unabhängig vom Hauptbild neu zusammengesetzt.

Urs Graf

Auch  von Urs Graf  (um 1485–1527/28),  einem  der eigenwilligsten Schweizer Künstler des 16. Jahrhunderts, haben sich Vorlagen für Glasgemälde erhalten. Wie die meisten seiner Werke zeichnen sie sich durch grosse künstlerische Qualität und satirisch-pikante Motive aus.

In seiner Heimatstadt Solothurn war Graf zum Goldschmied ausgebildet worden. Vermutlich seit 1507/08 hielt er sich in Basel auf und trat 1512 in die Zunft zu Hausgenossen ein, in der die Goldschmiede organisiert waren. Davor scheint der junge Künstler noch einen kurzen Ausflug in die Glasmalerei unternommen zu haben, ist er doch als Mitarbeiter in der Werkstatt des Glasmalers Hans Heinrich Wolleben beleg t. Wie das signierte Fragment mit jungem Mädchen nahelegt, könnte er dabei das Handwerk des Glasmalens tatsächlich praktiziert haben.

David Joris

Eine der schillerndsten Persönlichkeiten unter den Glasmalern des 16. Jahrhunderts war der Niederländer David Joris (1501/02–1556).  Seit 1544 lebte er als Oberhaupt einer Wiedertäufer-Sekte unter falscher Identität in Basel. Joris wird als Schöpfer verschiedener Zeichnungen und Glasgemälde angesehen, in denen man seine niederländische Herkunft zu erkennen glaubt. Diese Werke zeichnen sich durch antikisierend gekleidete Figuren und perspektivisch stark verkürzte Räume aus. Allerdings ist unklar, ob und in welchem Umfang Joris in Basel überhaupt Scheibenrisse oder sogar Glasgemälde schuf.

Drei Jahre nach Joris’ Tod wurde seine wahre Identität erkannt und es kam zum Prozess samt posthumer Verurteilung. In der Folge wurde sein Leichnam ausgegraben und zusammen mit den Schriften und seinem Bildnis öffentlich verbrannt.

Tobias Stimmer

Tobias Stimmer (1539–1584) gilt als bedeutendster Schweizer Künstler der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Er schuf Wandmalereien und Tafelbilder und zeichnete Entwürfe für den Holzschnitt. Knapp ein Drittel seiner Zeichnungen sind ausserdem Vorzeichnungen für Glasgemälde.

Obwohl Stimmer kein ausgebildeter Glasmaler war, wurden in seiner Werkstatt Glasgemälde hergestellt. Die Frage, inwieweit sich der Künstler hier selbst beteiligte, ist allerdings ungeklärt. Vermutlich beschäftigte er für diese Aufgaben junge Glasmaler, die auf ihrer Wanderschaft bei ihm Station machten. Stimmers Werke wurden von vielen Künstlern rezipiert und prägten eine ganze Generation. Besonders deutlich zeigt sich sein Einfluss bei Daniel Lindtmayer (hier in Raum 2) und Christoph Murer (Raum 3).

Daniel Lindtmayer

Der Schaffhauser Daniel Lindtmayer  d. J. (1552–1603)  stammt aus einer Familie mit langer Glasmalertradition. Auch er wurde in diesem Handwerk ausgebildet, arbeitete jedoch Zeit seines Lebens als Maler und Entwerfer. Sein zeichnerisches Œuvre umfasst rund 240 Vorzeichnungen für Glasgemälde.

1574 kam Lindtmayer nach Basel, wo seine Zeichnung für eine Freundschaftsscheibe entstand. Sie zeigt den hl. Lukas als Patron der Maler, umgeben  von vier Künstlerwappen. In späteren Jahren war Lindtmayer an einem bedeutenden Projekt beteiligt: dem grossen, 67 Werke umfassenden Glasgemäldezyklus für das Kloster Rathausen. Die Scheiben schuf der Luzerner Glasmaler  Franz Fallenter (um 1550–1612). Die Entwürfe stammen von verschiedenen  Künstlern. Sie und auch die Glasgemälde zeichnen sich durch ihre Grösse und das ungewöhnliche Lünettenformat aus.

Raum 3

Christoph Murer

Christoph Murer (1558–1614) war zumeist in seiner Heimatstadt Zürich als Glasmaler, Entwerfer und Radierer tätig. Noch während seiner Wanderschaft führte er 1579 bei einem Aufenthalt in Basel einen Glasgemäldezyklus für Leonhard Thurneysser (1531–1596)  aus. Murer fertigte sowohl die Zeichnungen als auch die Scheiben, die für Thurneyssers Haus an der Ecke Kohlenberg/Leonhardstrasse bestimmt waren.

Murers originelle und detailreiche Entwürfe inszenieren die Stationen der Biographie Thurneyssers: eine Erfolgsgeschichte, die von Basel durch Europa, Nordafrika und den Nahen Osten führte. In solchen Bilderfolgen wurden für gewöhnlich die Viten von Herrschern oder Heiligen thematisiert.  Doch hier wählte der Goldschmied,  Gelehrte und Unternehmer Thurneysser diese Art der Repräsentation für sich selbst. Seine Scheiben legen einen ungewöhnlich deutlichen Schwerpunkt auf Selbstdarstellung und Eigenwerbung.

Basler Meister

Balthasar Han (1505–1578) war über Jahrzehnte der führende Glasmaler in Basel. Dennoch kennen wir heute seine Kunst nur noch aus einem einzigen gesicherten Werk: der Scheibe mit dem Bannerträger der Basler Zunft zum Himmel, die der Glasmaler zusammen mit seinem Bruder Matthäus gestiftet hat.

Hans Jakob Plepp (1557/60–1597/98) liess sich 1579 in Basel nieder. Der Glasmaler arbeitete nach eigenen Entwürfen: Mit über 200 Scheibenrissen war er einer der produktivsten Meister dieser Zeit. Viele seiner Entwürfe zeigen Szenen, die Einblicke in den Arbeitsalltag der Handwerker geben.

Vom Maler Hans Brand (1552–1577/78?)  sind rund 25 Vorzeichnungen für Glasgemälde bekannt. Typisch sind seine «Doppelprojekte»  – Entwürfe, die dem Glasmaler zwei unterschiedliche Gestaltungsweisen zur Verfügung stellten. Andere Vorzeichnungen führte er nur halbseitig aus; die zweite Seite konnte spiegelbildlich ergänzt werden.

Ludwig Ringler

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war Ludwig Ringler (1536–1606) die prägende Persönlichkeit  in der Basler Glasmalkunst. Sein heute bekanntes Œuvre umfasst rund 20 Glasgemälde und 40 Vorzeichnungen, die sich deutlich durch Hans Holbein (Raum 1) und die Kunst des niederländischen  Manierismus beeinflusst zeigen. Ringler gilt neben Antoni Glaser (Raum 1) und Balthasar Han (Raum 3) als bedeutendster Glasmaler Basels.

Ringlers schönstes Werk ist die imposante Scheibe mit dem Bannerträger der Basler Webernzunft, in der die Woll- und Leinenweber organisiert waren. Solche Glasgemälde wurden von Amtsträgern einer Zunft für die Zunftstube gestiftet, man spricht daher von Zunftscheiben. Im Zusammenspiel  linearer und flächiger Gestaltungselemente kommt das Besondere der Glasmalerei perfekt zur Geltung.

Universität – Schützenhaus

Der Basler Glasmaler Ludwig Ringler (1536–1606) war an den seinerzeit bedeutendsten Glasmalerei-Projekten massgeblich beteiligt: den Glasgemäldefolgen für die Universität und für das Schützenhaus.

1560 feierte die Universität Basel ihr 100-jähriges Bestehen. Vermutlich aus diesem Anlass entstand eine Reihe von Glasgemälden, die von der Universität, einzelnen Fakultäten und ihren Mitgliedern gestiftet wurden. Sie waren für das neue Bibliotheksgebäude  im Unteren Kollegium am Rheinsprung bestimmt. Die Gelehrsamkeit der Stifter spiegelt sich in den anspruchsvollen Bildprogrammen wider.

1561 bis 1564 wurde in Basel das neue Schützenhaus gebaut und anschliessend mit Glasgemälden ausgestattet. Die 43 Scheiben bilden eines der bedeutendsten,  heute noch bestehenden Ensembles des 16. Jahrhunderts. Sie wurden von den Ständen, den Mitgliedern der Feuerschützen und von Privatpersonen  gestiftet. Neben Ringler schufen noch weitere Glasmaler Scheiben für das Schützenhaus.