Unter dem Titel Covering the Real widmet das Kunstmuseum Basel der Beziehung zwischen Kunst und Pressebild erstmals eine grosse Ausstellung. Mit Arbeiten von Warhol, Richter, Polke, Demand, Tillmans und 20 weiteren Künstlern integriert sie bedeutende Vertreter dieser internationalen Entwicklung und mit Malerei, Fotografie, Video, Internet, Installation und Nachrichten-TV die entscheidenden Medien.
Die Konfrontation mit dem Pressebild ist für die Kunst vor allem nach 1960 zu einer Herausforderung geworden, als die massenhafte Verbreitung des Pressebildes durch das Fernsehen endgültig zur Tatsache wurde. Das weltweite milliardenfache Ausstrahlen der Bilder von der Ermordung John F. Kennedys 1963 markiert eine Epochenschwelle. Grundlegend verändert sich in diesen Jahren auch die Kunst. Als Warhol 1962 in Bildern, die auf Pressefotos basieren, mechanische Reproduktionsverfahren einführt, nähert sich das Kunstwerk dem Massenbild an. Es wird anonym und die persönliche «Handschrift» des Künstlers verschwindet. Das Kunstwerk erhält einen neuen Status.
Was sind Pressebilder für uns? Zeugnis, Dokument, Beweis, Information. Aber genauso sind Pressebilder auch Konsumobjekte, und damit Instrumente der gesellschaftlichen Beteiligung und Kontrolle. Pressebilder zeigen nicht einfach «die Wirklichkeit». Der Ausschnitt, den sie uns von der Wirklichkeit zeigen, ist durch viele Faktoren bestimmt. Ein Pressebild, so wie es uns in der Zeitung oder im Fernsehen begegnet, ist ein hochkomplexes Produkt. Dessen ökonomische, ästhetische und moralische Herstellungs- und Marketingregeln bestimmen, was es uns zeigt. Im doppelten Sinn von «covering» berichten Pressebilder daher von der Wirklichkeit, und sie verbergen sie zugleich. Die Wirklichkeit selbst wird unter der Herrschaft dieser Bilder immer mehr zur symbolischen Anordnung, und politisches und militärisches Handeln richtet sich danach, wie es «ins Bild kommt». Ein «gelungenes» Pressebild muss – wie das Historienbild im 19. Jahrhundert – eine komplexe Situation schlagend visualisieren. Und doch begegnet uns kein Pressebild ohne eine Bildunterschrift, die erklärt und vorschreibt, wie wir es zu sehen haben.
Die Kunst hat die besondere Stellung des Pressefotos vor allem nach 1960 kritisch reflektiert und sich dabei gegenüber seinen Formen und Verfahren geöffnet. Künstler wie Warhol, Richter, Polke, Hamilton, Morley machen die in Zeitung, Nachrichtenmagazin, TV und Internet veröffentlichten Bilder zur Grundlage ihrer Werke oder imitieren sie malerisch. Oder sie betonen ihre fragwürdige Authentizität und den ideologischen Gebrauch, wie Rosler, Feldmann, Charlesworth, Fast und Snyder. Sie zeigen den eigenen, widersprüchlichen Umgang zwischen Faszination, Distanz und Analyse, wie Mitzka und Tillmans, bedienen sich der Techniken des Bildjournalismus und schaffen Mischformen von Kunst und Pressebild, wie Sekula, Serralongue und Saussier, um aus der Vielzahl nur einige Beispiele zu nennen. Immer geht es dabei auch darum, welche Bedeutungen die Kunst mit ihren eigenen Bildern hervorbringen kann. Gerade in der Auseinandersetzung mit dem «öffentlichen Bild» definieren Künstlerinnen und Künstler die ästhetische Autonomie und gesellschaftliche Bedeutung ihre Arbeit immer wieder neu.
Die Ausstellung konfrontiert Arbeiten der letzten vierzig Jahre mit den aktuellen Erscheinungsformen des Nachrichtenbildes: So finden sich Zeitungsausschnitte direkt neben Kunstwerken, werden in einer grossen Installation Nachrichtenkanäle aus allen fünf Kontinenten eingespielt, und als Weltpremiere erscheinen während der gesamten Dauer der Ausstellung in einer Online-Direkt-Schaltung – an zentraler Stelle und in Grossprojektion – die über Internet empfangenen Bilder der Schweizer Pressebildagentur Keystone. Erstmals können Besucherinnen und Besucher damit den weltweiten Strom der Pressebilder in Realzeit miterleben.
Zur Ausstellung erscheint ein reich illustrierter Katalog im DuMont Verlag mit Beiträgen von: Michael Diers, Hartwig Fischer, Bruno Haas, Jörg Huber, Verena Kuni und Yves Michaud.