06 Juli 2020

Valery Heussler (1920-2007), Vulcano, 1952

Welch trostlose Welt zeigt sich im Bild «Vulcano» von 1952! Alles wirkt öde und verlassen. Schwer hängt der Mond über einer düsteren Meereslandschaft und wirft seinen Schatten auf den Strand. Unter dem nächtlichen Himmel türmt sich ein erloschener Vulkan mit mehreren verschachtelten Kratern auf, während sich zwei Felsenfinger warnend aus dem schwarzen Meer erheben. Eine Welt ohne Menschen? Alles scheint leblos, bis auf die kleine, schwarz gewandete Skelettfrau. Mit einem Schleier auf dem Haupt sitzt sie in Denkerpose im Vordergrund und blickt auf das angespülte Strandgut zu ihren Füssen. Als hätte das Meer Relikte aus längst vergangenen Zeiten freigegeben, ragen mehrere Skelette und Objekte aus dem Sand. Darunter ist auch ein Schädel mit Sommerhut und langen, blonden Haaren und die Puppe eines Kindes. Es sind materialisierte Erinnerungen an vergangene Zeiten, die hier als Memento mori erscheinen. In der berührenden Darstellung der nachdenklichen Knochenfrau, vielleicht eine Art Alter Ego der Künstlerin, blitzt ein wenig von ihrem Schalk auf.

Das Gemälde ist in der Nachkriegszeit entstanden als die Künstlerin ihren phantastisch-surrealen Stil entwickelte. Es zeigt eine der dunkelsten Szenen, ähnlich melancholisch geprägt ist noch der «Tränensee» von 1953. Die Werkgruppe aus dieser Zeit geht auf mehrere Studienreisen (1951/1952 und 1954) auf die liparischen Inseln zurück. Die karge, vulkanische Landschaft dieser Gegend muss für sie sehr beeindruckend gewesen zu sein. Der Bildtitel «Vulcano» referiert auf eine gleichnamige kleinere Insel mit einem erloschenen Vulkan, der grosse Ähnlichkeit zum abgebildeten Kegel hat. Ein mythischer Ort, wo der Legende nach, die Werkstatt von Vulcanus, des römischen Gottes des Feuers und der Schmiede gewesen sein soll. Dieses Handwerk, auch dasjenige ihres Vaters, wird sich die Künstlerin später noch zu eigen machen.
Wie die Kunstkritikerin Annelise Zwez schreibt, war für Heussler nach 1945 die Darstellung einer idealisierenden menschlichen Figur nicht mehr möglich. Zu stark wirkten die Kriegseindrücke aus den angrenzenden Ländern nach. So sind es rätselhafte, surreale Momente, die sie in ihren Bildern aufgreift. Sie erfindet skurrile Wesen, wie Mumien, Skelette oder die «Bümpfe», tierähnliche Kreaturen, die zu Hauptdarstellern ihrer abgründigen Werke werden und Handlungen in rätselhaftem Ambiente ausführen. Ein gemaltes Selbstporträt von 1954 aus dem Kunsthaus Aarau zeigt die Künstlerin mit einem solchen Wesen im Arm. Sie hält es nahe am Körper, wie ein Baby oder einen Schosshund. Andere mehrfigurige Szenen evozieren verschrobenes, fasnächtliches Treiben, das viele Basler Kunstschaffende dieser Generation inspirierte. Valery Heussler war auch Laternenmalerin und trommelte in einer der ersten geschlechtergemischten Fasnachts-Cliquen.
Die surrealistischen Referenzen in ihrer Malerei teilte Heussler auch mit anderen Wegbegleitern, wie Walter Kurt Wiemken (1907-1940), Niklaus Stoecklin (1896-1982), Irene Zurkinden (1909-1987) oder Walter Moeschlin (1902-1961). Gleich drei Werke kaufte ihr der damalige Museumsdirektor Georg Schmidt 1955 in einer Ausstellung in Leverkusen für das Kunstmuseum Basel ab – dazu gehört auch die vorliegende Arbeit. In seinem Katalogtext beschreibt Schmidt Heusslers Werke als «erstaunlich kühne, grausam liebevoll zu Ende gedachte, zu Ende geformte Phantasien.»

Valery Heussler war eine engagierte und zeitkritische Künstlerin, die sich viele Gedanken zum Zeitgeschehen machte. Ihre politische Haltung kommt in den Spätwerken explizit zum Tragen, wo rätselhafte Wesen auch eine zentrale Rolle spielen. In den 60er Jahren begann sie mit plastischen Arbeiten und machte im Alter von 47 eine weitere Ausbildung an der Allgemeinen Gewerbeschule. Sie lernte schweres Metall zu verarbeiten, wie man schweisst und schmiedet. Wer im Park der Theodorsgraben-Anlage spazieren geht begegnet hier mehreren späten Skulpturen. Im oberen Teil des Parks stehen drei stelenartige Gebilde mit grossen Röhren aus Chromstahl, die «Augen- und Ohrenmenschen». Gleichgeschaltet und ohne individuelle Ausstrahlung werden sie zu einer Art Mahnmal gegen eine uniforme, starre Gesellschaft. Weiter unten, näher am Rhein, ist eine kopflose Gestalt auf einer Steinplatte mit riesengrossen Händen, die über einem Brotlaib schweben, zu sehen. Die Plastik «Brot teilen» erklärt sich solidarisch mit den Rechtlosen und Hungernden – ein eindrückliches Plädoyer für die Humanität.

Autorin: Iris Kretzschmar, Kunsthistorikerin, Kunstvermittlerin und freie Autorin