25 Mai 2020

Die Führungsreihe «Inspired by her» zu aktuellen weiblichen Positionen im Kunstmuseum Basel führt uns mit diesem Beitrag zu Lynette Yiadom-Boakyes Gemälde "A Culmination" im Kunstmuseum Basel | Neubau.

Ein Empfangskomitee vier gutaussehender junger Männer begrüsst die Besucherinnen beim Eingang des Neubaus. Sie wirken gelassen, wie zufällig festgehalten bei einem beiläufigen Treffen. Wer sind sie diese Herren in den eleganten Anzügen, und was haben sie mit einander zu tun? Die Szene fasziniert, sie erscheint vertraut und fremd zugleich. Sind es Schauspieler, eine Crew von Kellnern oder Mitglieder einer Jazzband?

So vielfältig die Assoziationen sind, so rätselhaft und mehrdeutig ist die Szene. Gemalt wurde das Bild von der englisch-ghanaischen Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye (*1977). Zusammen mit anderen Bildnissen war es 2017 in der Kunsthalle Basel in der Ausstellung «A Passion to a Principle» zu sehen. Die Malerin und Autorin, die an der Royal Academy of Arts Malerei studierte, wurde als erste schwarze Frau 2013 für den prestigeträchtigen Turner-Preis nominiert. Ihr Bildthema: Menschen mit dunkler Hautfarbe, die einzeln oder in kleinen Gruppen in unspektakulären Szenen auftreten, wie auch in «A Culmination» (2016).

Wie wirklichkeitsnah ist diese Szene eigentlich? Fast in Lebensgrösse, nahe bei einander sitzend oder stehend dargestellt, unterscheiden sich die vier Figuren in Mimik, Haltung und Gestik nur wenig. Verhalten wirkt auch die Interaktion in der Gruppe, einzig die Person rechts aussen erwidert die Ernsthaftigkeit seines Gegenübers mit einem Lachen. Stärker individualisiert als die Anderen steht er im Vordergrund, als hätte er die Position eines Sprechers inne. Der zweite Mann von links blickt direkt zum Publikum, während sein Nachbar in sich versunken scheint. Der vorherrschende Farbton, zwischen Smaragd- und Olivegrün oszillierend, durchzieht nicht nur das Bild, er bindet die vier auch als Gruppe, wie eine Schicksalsgemeinschaft, zusammen. Helle Hemden und blitzendes Augenweiss kontrastieren das dunkle Kolorit – die rosafarbene Pochette in der Brusttasche wird zum Blickfang.

Ein eigentümlich gedämpftes Timbre bestimmt die entrückte Darstellung. Obwohl alle vier Personen einen scheinbar hohen Realitätsgrad aufweisen, wirken sie nicht wirklich wie Individuen, eher wie ein Nachhall ihrer selbst oder Reminiszenzen an Vergangenes. Doch was klingt hier nach? Die narrativen Elemente sind spärlich eingesetzt – weder Kontext, Zeit noch Ort lassen sich eruieren. Auch der kryptische Bildtitel «A Culmination», vielleicht als Wendepunkt zu übersetzen, betont die Ambivalenz der Szene und öffnet weitere Bedeutungsschichten. Eine Interpretation wird uns nicht aufgezwungen, vielmehr ein Prozess der Reflexion in Gang gesetzt, Fragen nach der Präsenz und Rolle von farbigen Menschen in der europäischen Kunstgeschichte geweckt.

Wie die Künstlerin betont, geht es ihr nicht darum wer, eher was dargestellt ist. Lynette Yiadom-Boakye malt keine Porträts von real existierenden Menschen. Sie erfindet ihre Figuren, geboren aus eigenen Erinnerungen und Skizzenbüchern. Längst Vergangenes und zugleich Gegenwärtiges wohnen ihnen inne. So hat die Porträtmalerei des 19. Jahrhunderts ihren Niederschlag in den Bildnissen gefunden, Edouard Manet, Edgar Degas und Walter Sickert schwingen im Hintergrund mit. In diesem visuellem Echoraum werden die Besucherinnen mit ihren eigenen Vorstellungen von schwarzen Menschen konfrontiert. Mit der Positionierung des Gemäldes im Foyer wird nicht nur das Bewusstsein für veränderte Realitäten in Kunst und Gesellschaft geschärft, es öffnet auch den Blick für Wertverschiebungen im gegenwärtigen Gesellschaftsgefüge – und setzt ein Zeichen dafür, dass in der Kunst einer globalisierten Welt helle Haut nicht länger als Norm gelten kann.

Autorin: Iris Kretzschmar, Kunsthistorikerin, Kunstvermittlerin und freie Autorin