20 Apr. 2020

Die Führungsreihe «Inspired by her» zu aktuellen weiblichen Positionen im Kunstmuseum Basel erfreut sich grosser Beliebtheit. Statt vor Ort im Haus stellt Iris Kretzschmar die Themen nun hier als Text vor, zum Beispiel das Werk «Bello» von Selma Weber.

Die meisten laufen achtlos daran vorbei – zu Unrecht. Die Rede ist von einer 4.5 x 17 cm kleinen Aluminiumplatte an der Wand. Es ist ein Multiple der Basler Künstlerin Selma Weber (1958) mit dem Titel Bello* aus dem Jahr 1993. Das querformatige Schild zeigt einen kleinen schwarzen Dackel, mit rotem Halsband und nach vorne gelegter Rute, durchgestrichen von einem mächtigen roten Kreuz. Ähnliche Tafeln trifft man an vielen Orten der Stadt an. Meist sind es Piktogramme in reduzierter Bildsprache, die darauf aufmerksam machen, was hier zu unterlassen sei. Wie kommt ein solches «Hundeverbotsschild» in die «heiligen Hallen der Kunst», und was soll das hier?

Seinen ehrwürdigen Platz fand Bello durch die Schenkung der Sammlung von Theresa und Jakob Tschopp-Janssen an die Freunde des Kunstmuseums Basel. Vom Chef der Institution höchstpersönlich mit einem Augenzwinkern platziert, ziert das Schild nun unauffällig einen Eckpfeiler zwischen Hauptbau und Treppenabgang zur Unterführung des Neubaus. Welch ein trefflicher Ort, wie gemacht für einen solch hintergründigen Fingerzeig.

Gleich zwei Schwergewichte der Kunstgeschichte stehlen Bello die Schau vor Ort – die Bronze Ptolémée III (1961) von Hans Arp und zwei monumentale, gestische Gemälde von Georg Baselitz, Die Nacht (1984-1985) und Das Liebespaar (1984). Keine Chance für Bello? Doch gerade die diskrete Hängung im Kontext der Kunstheroen bestärkt Bellos subversive Wirkung. Wird man trotz Kunstprominenz des kleinen Dackels gewahr, macht sich zunächst einmal Verwunderung breit, schon bald gefolgt von einem Schmunzeln. Alles klar, der Hund bleibt draussen, die Kunst ist drinnen? Hier haben wir beides. Es ist ein kleiner, gezielter und umso wirkungsvoller Kunstgriff, der Bello seine Präsenz vor Ort behaupten lässt. Sobald man genauer hinschaut entdeckt man die Besonderheit. Das Auge des Hundes wurde durch eine golden glitzernde Öse ersetzt und so der Blick auf die dahinterliegende Wand freigelegt. Mit diesem minimalen Eingriff werden nicht nur das Tier und Schild verfremdet, das Objekt wird auch zu einem veredelten Relief. Es findet eine Überhöhung des Trivialen statt, die zum Weiterdenken einlädt.

Ein Blick zurück: In den 90er Jahren verhalf Selma Weber der Öse, einem ursprünglich kunstfremden Material, zu neuer ästhetischer Geltung. Neben Bostitchklammern und bunten Stecknadeln wurde der Einsatz dieser kleinen Metallringe im Bild- und Objektbereich eine Zeitlang gar zum Markenzeichen ihrer Kunst. Vor allem Ansichtskarten mit banalen und publikumsträchtigen Motiven waren nicht sicher vor ihr. Mit Hingabe bearbeitete sie die Bilder mit Ösen, «traktierte» liebliche Blumengrüsse mit durchaus ironischem Hintersinn.

Zum Beispiel entstand 1991 ein ganzer Paravent aus floralen geösten Motiven. Auch für die Installation Adacta (1995) für das Basler Gefängnis Waaghof versah die Künstlerin, in Kollaboration mit Freunden, 480 Aktenmäppchen mit 312'480 Metallösen, die anschliessend von Menschen mit Behinderung verschlossen wurden. Das Ergebnis war ein glitzernder, beweglicher Fächer an der Wand von fast 8 Metern Länge, der nicht nur optisch besticht, sondern auch das System des Strafvollzugs mit seiner mühseligen Arbeit hinterfragt.

In besagte Zeit fällt auch der Ursprung von Bello. Die Künstlerin – selber mit zwei eigenwilligen Dackeln aufgewachsen, deren Erwähnung noch heute ihre Augen zum Glänzen bringen – kaufte damals ein paar Verbotsschilder im Laden, um eine kleine Auflage des Multiples für die Jahresausstellung im Ausstellungsraum Klingental 1993 vorzubereiten. Die Idee war bestechend, der Aufwand dazu nicht allzu gross: Nach Angaben der Künstlerin werden fünf Löcher gebohrt, ein grosses für das Auge des Tieres und vier kleinere für die Befestigung. Die Öse wird durch das vorgebohrte Loch gestossen und mit einer Spindelpresse befestigt: Bello war geboren.

Autorin: Iris Kretzschmar, Kunsthistorikerin, Kunstvermittlerin und freie Autorin