28 März 2020

Die Restaurierung im Kunstmuseum Basel ist für die Bewahrung und technologische Erforschung der umfangreichen Sammlung zuständig. An erster Stelle steht dabei die Schadensvermeidung und präventive Konservierung an Kunstwerken. Und manchmal bringt die Untersuchung mit dem Röntgenscanner auch Überraschendes zum Vorschein – zum Beispiel bei Pablo Picassos Gemälde "Les deux frères".

Im Frühjahr 1906 vollendet Pablo Picasso in den Pyrenäen sein Bild Les deux frères – ein Spitzenwerk unserer Sammlung. Ein Junge trägt seinen kleinen Bruder fürsorglich auf dem Rücken. Es scheint, als würden die beiden miteinander verschmelzen. Interessant ist in diesem Werk besonders das Verhältnis der beiden Figuren zum Raum: Der ältere Bruder tritt aus dem Bild heraus, uns schräg entgegen. Durch den kleineren Bruder mit seinen verschwommenen Gesichtszügen wird er zugleich wieder an den Bildgrund zurückgebunden. Nichts lenkt von den beiden Brüdern ab, die aus dem gleichen Material zu sein scheinen wie der Hintergrund. Einzig eine Linie im unteren Teil des Bildes macht den Raum dreidimensional.

2018 untersuchten unsere Restauratoren das Bild unter anderem mit einem digitalen Röntgenscanner. Mit Hilfe der Röntgenstrahlen ist es möglich, in das Innere von Kunstwerken vorzudringen, ohne das Bild zu schädigen. Die durchdringende Strahlung wird – je nach Stofflichkeit – unterschiedlich stark geschwächt, absorbiert oder reflektiert und durch eine digitale Kamera in sichtbare Informationen umgewandelt. Bei der Röntgenuntersuchung entdeckten die Restauratoren im oberen Teil des Gemäldes, zwischen den Gesichtern der beiden Brüder, ein drittes Gesicht. Das ursprüngliche und suchende Bildkonzept Picassos, das von der zweiten künstlerischen Version verdeckt wurde, war nun sichtbar.

Wir erhalten damit einen gänzlich neuen Hinweis darauf, wie Picasso an dem Gemälde arbeitete. Man ging vor der Untersuchung davon aus, dass der Künstler durch seine Vorstudien auf Papier eine klare Vorstellung von der Komposition des Bildes gehabt hatte. Doch die Röntgenaufnahme beweist: Picasso legte die Kopfstellung des älteren Bruders zu Beginn so an, dass dieser die Betrachter:innen direkt ansieht. Letztlich entschloss sich Picasso dann aber, den Kopf im Halbprofil zu malen.

In der unteren Bildhälfte brachten die Röntgenstrahlen zudem eine ganz neue Figur hervor. Wir erkennen eine sitzende Figur im Profil, die mit ausgestrecktem Arm etwas in der Hand hält oder eine Geste ausführt. Es wird klar, dass Picasso unter dem heute sichtbaren Bild mit einer anderen Komposition begann, die dem Sujet der zwei Brüder nicht entspricht. Von seinem ersten Entwurf, eine sitzende Figur auszuführen, wandte er sich während des Schaffensprozesses ab und führte dann im zweiten, heute für uns sichtbaren Schritt, sein meisterhaftes Gemälde der zwei Brüder aus.
Autor: Werner Müller, Leiter Restaurierung, Geschäftsleiter Art Care